Anlass für die im Folgenden vorzutragenden Überlegungen war eine vom Reclam-Verlag zu Beginn des laufenden Jahres an mich ergangene Bitte: Ich sollte für die 1979 in der Universal-Bibliothek erschienene und zuletzt 2017 nachgedruckte deutsche Übersetzung der Ilias Homers von Roland Hampe (1908–1981) den textkritisch dazu passenden griechischen Text edieren, damit der Band künftig als Bilingue erscheinen könne. Da Hampe nicht verrät, welche Textvorlage er benutzte, musste ich diese Vers für Vers rekonstruieren, und das führte zwangsläufig zu einer sehr gründlichen Auseinandersetzung mit Hampes Version, bei der es sich um eine metrische Übersetzung handelt. Ich las diese gewissermaßen als Kollege, da ich in den vorausgegangenen Jahren für die Sammlung Tusculum Versübertragungen der Bucolica, Georgica und Aeneis Vergils sowie der Metamorphosen Ovids publiziert hatte und daher auf eine große Erfahrung mit dem nachgestaltenden „Dichten“ deutscher Hexameter zurückblicken konnte. Mein Konzept war kein selbstverständliches gewesen, da im Falle der vier lateinischen Hexameter-Werke etwa seit Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts Prosaübersetzungen die metrischen Verdeutschungen mehr und mehr verdrängt hatten.

Wie jeder weiß, kann man in Prosa den Originaltext denkbar wörtlich wiedergeben, während der gebundenen Sprache hier gewisse Grenzen gesteckt sind. Im Falle der beiden Homerischen Epen hatte Wolfgang Schadewaldt (1900–1974) schon 1958 mit einer Prosawiedergabe der Odyssee und 1975 mit der leicht rhythmisierten Form einer Prosawiedergabe der Ilias neue Maßstäbe für das Verdeutschen hexametrischer Epen gesetzt. Doch anders als bei Vergil und Ovid behaupteten sich daneben metrische Übersetzungen der beiden griechischen Texte bis in jüngste Zeit. Die Tusculum-Ilias von Hans Rupé (1888–1947), erstmals 1947 publiziert, erlebte 2013 ihre sechzehnte Auflage, und die Tusculum-Odyssee Anton Weihers (1886–1961) von 1955 erschien 2013 zum vierzehnten Mal. Daneben gab es Roland Hampes Reclam-Odyssee, wie seine Ilias erstmals 1979 gedruckt und als Bilingue seit 2010 auf dem Markt, sowie seine nun ebenfalls durch den griechischen Text zu erweiternde Übertragung des älteren homerischen Epos. Nun behauptet Hampe im Nachwort zu seiner deutschen Ilias, er verwende nicht mehr die seit Johann Heinrich Voss (1751–1826) in Versübersetzungen gebräuchliche klassizistische Sprache, sondern modernes Deutsch. Gleichzeitig erklärt er, Schadewaldt habe sich bei seiner Wahl einer Prosa in freien Rhythmen von einer „Selbsttäuschung“ verleiten lassen, und betont, man könne „auf die metrische Einbindung in den Hexameter nicht verzichten.“ Es stellt sich also die Frage, ob seine unzeitgemäße Entscheidung für eine Wiedergabe der Ilias in deutschen Hexametern zu einer optimalen Lösung des Problems geführt hat.

Das trifft nun, wie meine Analyse des Hampeschen Textes ergeben hat, keineswegs zu. Ich möchte das gleich nachzuweisen versuchen, und ich glaube, dass es für diese kritische Auseinandersetzung mit seiner Ilias einen guten Grund gibt. Denn diese ist unter den zurzeit im Buchhandel erhältlichen jüngeren metrischen Übersetzungen des Troja-Epos mit Abstand am billigsten, ja für Schüler und Studenten einzig erschwinglich. Denn für Rupés Tusculum-Ausgabe müssten sie € 79,95 und für die 2017 als Folio-Prachtband erschienene Version Kurt Steinmanns € 99,00 bezahlen, Hampe dagegen bekommen sie für acht Euro und gebraucht bei Amazon für vier. Schadewaldts Insel-Taschenbuch wiederum liegt mit € 11,00 bzw. gebraucht für € 7,19 bei Amazon nicht viel darüber, aber zu dieser Übersetzung sei jetzt Folgendes gesagt: Gewiss, Hampes Behauptung, sie sei das Ergebnis einer „Selbsttäuschung“, ist unbedingt zurückzuweisen; als sie vor 43 Jahren erschien, durfte sie als das Beste gelten, was bisher auf dem Gebiet der Homer-Verdeutschung geleistet worden war, ja wahrscheinlich sogar als die international bedeutendste Ilias-Übersetzung. Andererseits verdeutscht Schadewaldt den Homer-Text insgesamt so überwörtlich, dass – so paradox das klingt – nur Fachleute sie adäquat würdigen können, während Laien besonders heute große Verständnisschwierigkeiten haben. Schadewaldt verlässt nämlich mit seiner Nachahmung der homerischen Diktion die Basis der vom Duden vorgegebenen Sprachnorm: Er bietet zahlreiche Lehnübersetzungen, also Neologismen wie gleich in Vers 14 von Buch I „Ferntreffer“ für ἑκηβόλος, behält den griechischen Satzbau und die griechische Wortstellung so weit wie möglich bei und verwendet darüber hinaus zahlreiche Lexeme, die schon vor 300 Jahren die Leser des Übersetzers Johann Heinrich Voß (1751–1826) als veraltet empfanden.

Bedenkt man nun, dass in unserer Zeit speziell bei den Angehörigen der jüngeren Generation die Sprachkompetenz sich rapide verschlechtert hat – im Faust-Jahr 2018 hörte man immer wieder, dass viele Schüler und Studenten bei Aufführungen des Goethe-Dramas weitgehend ratlos im Zuschauerraum saßen, und Lateinlehrer erleben immer wieder bei Einführung des Wortes vitium, dass die Gymnasiasten mit der Bedeutung „Laster“ lediglich ein Auto verbinden –, also bedenkt man das und alle weiteren damit zusammenhängenden Probleme, stellt sich die Frage nach der Qualität von Hampes preiswerter Reclam-Ilias besonders eindringlich. Denn die Tatsache, dass der gymnasiale Griechischunterricht vom Aussterben bedroht ist und jetzt schon die Textmengen, die man Schülern zumuten kann, immer mehr zusammenschrumpfen, weist einer Übersetzung, die man für wenig Geld erwerben kann, eine besondere Rolle in der heutigen Rezeption eines der wirkungsmächtigsten Werke des Weltliteratur zu. Sie kann dieser Rolle aber nicht adäquat gerecht werden, wenn Leser unserer Zeit bei der Lektüre Hampes ebenso wie bei der Lektüre der Übersetzungen von Voß und Schadewaldt das sagen müssen, was auf Englisch heißen würde: „This is Greek to me.“

Da Hampe, wie wir sehen werden, sich durchaus nicht von der Voßschen Tradition gelöst hat, werfe ich auf diese einen kurzen Blick, um meine Hampe-Analyse leichter verständlich zu machen.

Als Voß 1781 mit seiner Odüssee seine erste metrische Verdeutschung eines antiken Hexameter-Opus vorlegte, zeigte er sich noch unverkennbar von einer seit Johann Christoph Gottsched (1700–1766) geltenden Norm für das Übersetzen beeinflusst, die der Texttreue gut lesbares Deutsch vorzog, also zielsprachenorientiert war. Doch in der zweiten Auflage von 1793 imitierte Voß so konsequent den Satzbau Homers und bediente sich einer so betont altertümelnden Diktion, dass schon die Zeitgenossen, unter ihnen Christoph Martin Wieland (1733–1813), keineswegs positiv reagierten. In der Folgezeit gewöhnte man sich freilich mehr und mehr daran, metrisch wie der Voß der zweiten Odyssee zu übersetzen. Hält man sie neben die ältere Fassung, sieht man deutlich, dass nicht diese sprachlich leichter zugängliche Verdeutschung bis zur Ilias Rupés und Hampes nachwirkte, sondern die klassizistische Wiedergabe. Das sollen nun exemplarisch drei Textvergleiche demonstrieren.

α 57–59:                                             αὐτὰρ Ὀδυσσεύς,

                     ἱέμενος καὶ καπνὸν ἀποθρῴσκοντα νοῆσαι

                     ἧς γαίης, θανέειν ἱμείρεται.

Voß 1781:                                           Aber Odüßeus

                     Sehnt sich, auch nur den Rauch von Ithaka’s heimischen Hügeln

                     Steigen zu sehn und dann zu sterben!

Voß 1793:                                           Aber Odysseus

                     Sehnsuchtsvoll nur den rauch von fern aufsteigen zu sehen

                     Seines lands, zu sterben begehret er!

An die Stelle der gut verständlichen, nur mit den „heimischen Hügeln“ für ἧς γαίης freien Wiedergabe tritt eine sehr eng an die Wortfolge des griechischen Satzes angelehnte Nachahmung, die wie dieser einen Genetiv von seinem Bezugswort trennt und die Konstruktion des Participium coniunctum nicht auflöst, so dass das Prädikat, weit vom Subjekt getrennt, am Ende des Satzes platziert ist.

α 236:             … ἐπεὶ οὔ κε θανόντι περ ὧδ’ ἀκαχοίμην.

Voß 1781:       Ach! ich trauerte selbst um den Tod des Vaters nicht so sehr.

Voß 1793:       … Denn auch nicht gestorbenen trauert ich also.

Gemäß der Vorlage ist in der zweiten Fassung das verdeutlichende Wort „Vater“ gestrichen, das Verb wird ohne Präposition gebraucht, und statt des metrisch unschönen „so sehr“ steht hier das heute in dieser Bedeutung obsolete „also“.

α 286:             ὃς γὰρ δεύτατος ἦλθεν Ἀχαιῶν χαλκοχιτώνων.

Voß 1781:       Welcher zuletzt heimkam von den erzgepanzerten Griechen.

Voß 1793:       Welcher zuletzt heimkehrte der erzumschienten Achaier.

Die jüngere Version ersetzt den Präpositionalausdruck durch einen gekünstelten Genetivus partitivus und den zunächst für die Wiedergabe des Beiworts der Achaier geprägten „normal“ klingenden Neologismus durch einen, der sich noch „griechischer“ anhört.

Wir werden sehen, dass Hampes Ilias-Verdeutschung trotz gegenteiliger Erklärung im Nachwort – er bezeichnet die Voßsche Übersetzung dort als veraltet – unverkennbar in deren Nachfolge steht. In meinen metrischen Verdeutschungen der drei römischen Hexameter-Opera Vergils und der Metamorphosen Ovids habe ich mich dagegen nach Kräften bemüht, mich von dieser Tradition so weit wie möglich zu lösen und ein modernes Publikum anzusprechen. Als ich nun Hampe analysierte und feststellte, dass er für ein solches nicht mehr geeignet ist, dachte ich mir, es müsste doch möglich sein, sich nicht nur mit metrischen Entsprechungen lateinischer, sondern auch griechischer Hexameter von Voß & Co. zu lösen. Was an einzelnen exemplarisch ausgewählten Stellen dabei herauskam, möchte ich nun in einer systematischen Übersicht präsentieren. Ich gehe dabei stets von der Version Hampes aus, zitiere, wenn es mir sinnvoll erscheint, auch Schadewaldts rhythmische Prosa heran, vergleiche Hampe mit der allerjüngsten metrischen Übersetzung, derjenigen Steinmanns, die, wie sich zeigen wird, einen erheblichen Fortschritt gegenüber Hampe darstellt, aber gelegentlich ebenfalls Voß verpflichtet ist, und lege schließlich meine ersten eigenen, noch zaghaften Versuche einer „Verbesserung“ vor – nur dann nicht, wenn ich Steinmanns Version nicht für änderungsbedürftig halte.

Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass in unserer Zeit, in der das Lesen von Versen vielen Antikefreunden nicht nur bei lateinischen, sondern auch bei deutschen Dichtertexten große Schwierigkeiten bereitet, deutsche Hexameter, die in der Gegenwartssprache verfasst sind, den Zugang auch zu Homers Poesie erleichtern. Das scheint mir freilich nur möglich, wenn klassizistische Patina strikt vermieden wird. Denn wenn ich in dem vom Hexameter vorgegebenen Rhythmus konsequent die heute gebräuchliche Lexik, Formgrammatik und Syntax verwende, macht sich bei der Lektüre, speziell beim lauten, betonten Rezitieren, das Metrum von selbst bemerkbar, und der moderne Leser, der sich nicht auf Schritt und Tritt zum Übersetzen der Übersetzung gezwungen sieht, bekommt wenigstens ein gewisses Gespür für die Poesie der griechischen Vorlage.

  1. Lexik

1.1 Obsolete Wörter bzw. Wortbedeutungen

 

Ι 142:             γαμβρός κέν μοι ἔοι· τείσω δέ μιν ἶσον Ὀρέστῃ, …

Hampe:           Soll er mein Eidam sein, ich ehr ihn dann gleich dem Orestes, …

Steinmann:      mag er mein Schwiegersohn sein; ich ehr’ ihn dann gleich dem Orestes, …

Θ 245:            Ὣς φάτο, τὸν δὲ πατὴρ ὀλοφύρατο δάκρυ χέοντα, …

Hampe:           Sprach’s; und den Vater jammerte da der weinende König, …

Schadewaldt:   So sprach er, und den Vater jammerte es, wie er Tränen vergoß, …

Steinmann:      Sprach es, und wie er Tränen vergoss, tat leid er dem Vater, …

Ζ 139f.:           καί μιν τυφλὸν ἔθηκε Κρόνου πάϊς· οὐδ’ ἄρ’ ἔτι δὴν / ἦν, …

Hampe:           Und ihn blendete Kronos’ Sohn; er lebte da nicht mehr / Lang, …

Steinmann:      Und ihn blendete Kronos’ Sohn; er lebte dann nicht mehr / lange, …

  1. H.: Und der Kronide machte ihn blind; er lebte dann nicht mehr / lange,

Δ 491f.:          τοῦ μὲν ἅμαρθ’, ὃ δὲ Λεῦκον, Ὀδυσσέος ἐσθλὸν ἑταῖρον,

                     βεβλήκει βουβῶνα, νέκυν ἑτέρωσ’ ἐρύοντα·

Hampe:           (warf mit dem) Speer im Getümmel doch fehlte, jedoch des Odysseus Gefährten

                     Leukos flog das Geschoß in die Scham, als den Toten er herzog; …

Steinmann:      (warf mit dem) Speer; den verfehlte er, doch Leukos, Odysseus’ Gefährten,

                     traf er in die Scham, als den Toten er wegschleppen wollte.

  1. H.: Den verfehlte er; Leukos, Odysseus’ edlen Gefährten,

                     traf er im Unterleib, als den Toten er anderswohin zog.

Φ 106:            ἀλλά, φίλος, θάνε καὶ σύ· τίη ὀλοφύρεαι οὕτως;

Hampe:           Also Freund, stirb auch du; warum denn jammerst du also?

Steinmann:      Also, Freund, stirb auch du! Was jammerst du denn so erbärmlich?

  1. H.: Also, Freund, stirb auch du! Was musst du denn so lamentieren?

Von Wörtern wie „Eidam“, die heute fast niemand mehr versteht, wimmelt es bei Voß, und Hampe hat viele beibehalten. Auch Wendungen wie „es jammert jemanden“ und „blenden“ in der Bedeutung „blind machen“ sowie „fehlen“ für „nicht treffen“ sind heute weitgehend obsolet, werden aber, wie man sieht, sogar noch von Steinmann verwendet; auch das heute immer lächerlicher werdende Wort „Scham“ für die Geschlechtsteile des Unterleibs meidet er nicht. Bei Hampe stört besonders, dass er „also“ fast auf jeder Seite im Sinne von „Also sprach Zarathustra“ gebraucht; in meinem Beispiel erscheint das Wort in dieser Bedeutung höchst unpassend im selben Vers wie „also“ im Sinne von ergo, das heute allein vertraut ist. Steinmann korrigiert, wie man sieht, erweitert aber οὕτως im Deutschen zu „so erbärmlich“, wobei er „so“ ungünstigerweise in die Senkung setzt.

1.2 Die Verb-Endung ist durch „e“ erweitert

Κ 82f.:            τίς δ’ οὗτος κατὰ νῆας ἀνὰ στρατὸν ἔρχεαι οἶος

                     νύκτα δι’ ὀρφναίην, ὅτε θ’ εὕδουσι βροτοὶ ἄλλοι, …;

Hampe:           Wer ist’s, der bei den Schiffen durchs Lager du gehest alleine

                     Durch die finstere Nacht, da die anderen Sterblichen schlafen?

Steinmann:      Sag, wer bist du, der du bei den Schiffen das Lager durchstreifest

                     ganz allein durch die stockdunkle Nacht, wenn die anderen schlafen?

  1. H.: Wer bist du, der durchs Lager du gehst bei den Schiffen, alleine

                     während der finsteren Nacht, wenn die anderen Sterblichen schlafen?

„Du gehest“ oder „durchstreifest“ kennt man heute vor allem aus Bibellesung, Liturgie und Choral in evangelischen Kirchen, soweit dabei noch Luthers Sprache bewahrt wird (Lk 2,29: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren …“).

1.3 Simplex statt Kompositum

 

Θ 393–395:     αὐτόμαται δὲ πύλαι μύκον οὐρανοῦ, ἃς ἔχον Ὧραι,

                     τῇς ἐπιτέτραπται μέγας οὐρανὸς Οὔλυμπός τε,

                     ἠμὲν ἀνακλῖναι πυκινὸν νέφος ἠδ’ ἐπιθεῖναι.

Hampe:           Dröhnend ging auf von selber des Himmels Tor, das die Horen

                     Hüteten, denen der Himmel vertraut ward und der Olympos,

                     Bald die dichte Wolke zu öffnen, bald sie zu schließen; …

Schadewaldt:   Von selber dröhnten auf die Tore des Himmels, die die Horen hüten,

                     Denen anvertraut ist der große Himmel und der Olympos,

                     Bald zurückzuschieben die dichte Wolke, bald vorzulegen.

Steinmann:      und es knarrten die Tore des Himmels von selbst, die die Horen

                     hüteten, denen’s im Himmel obliegt wie auf dem Olympos

                     bald die verhüllende Wolke zu öffnen, bald sie zu schließen.

Ο 539:            ἧος ὃ τῷ πολέμιζε μένων, ἔτι δ’ ἔλπετο νίκην, …

Hampe:           Während er jenem im Kampf noch stand, den Sieg noch erhoffend, …

Steinmann:      Während der mit ihm standhaft kämpfte, den Sieg noch erhoffend, …

  1. H.: Während er ihm im Kampf standhielt und den Sieg noch erhoffte, …

Deutsch verträgt den Verzicht auf die Präposition eines verbalen Kompositums, also „vertraut“ statt „anvertraut“ oder „stand“ statt „widerstand“, nicht so ohne Weiteres wie poetisches Griechisch, weshalb Missverständnisse entstehen; das belegt besonders eindringlich das zweite Hampe-Beispiel: Wenn man liest, dass „er jenem noch stand“, denkt man vielleicht erst einmal an einen Mann in biblischem Alter mit uneingeschränkter Potenz bei den bella Veneris.

1.4 Neu gebildete Komposita

Α 113–115:            καὶ γάρ ῥα Κλυταιμνήστρης προβέβουλα

                     κουριδίης ἀλόχου, ἐπεὶ οὔ ἑθέν ἐστι χερείων,

                     οὐ δέμας …

Hampe:                  Ich ziehe sie nämlich sogar meiner Jugendgemahlin

                     Klytämnestra vor, denn sie ist nicht schlechter als jene,

                     Weder an Wuchs …

Steinmann:             Ziehe ich sie ja selbst der ehlichen Gattin

                     Klytaimestra vor, denn sie steht nicht zurück hinter dieser,

                     nicht an Gestalt …

  1. H.: Ich zieh sie sogar der ehelichen Gemahlin

                     Klytaimnestra vor, denn sie ist nicht geringer als diese,

                     nicht an Gestalt …

Υ 79:              Αἰνείαν δ’ ἰθὺς λαοσσόος ὦρσεν Ἀπόλλων …

Hampe:           Doch Aineias trieb an der Kriegsvolksporner Apollon …

Schadewaldt:   Den Aineias aber trieb der volkaufregende Apollon / Gerade entgegen dem …

Steinmann:      Doch den Aineias trieb an Apollon, der aufhetzt das Kriegsvolk, …

Ob es für die Zeit der Jugend eine spezielle Ehefrau gibt, von der man sich wohl später scheiden lässt, ist mir nicht bekannt, und Hampes Wortungetüm im zweiten Beispiel müsste eigentlich „Kriegsvolkansporner“ heißen. Schadewaldts „volkaufregend“ klingt aber auch irgendwie komisch, weshalb Steinmanns Auflösung in einen Nebensatz vorzuziehen sein dürfte.

1.5 Epitheta ornantia als adverbiale Ausdrücke

Α 182–185:     ὡς ἔμ’ ἀφαιρεῖται Χρυσηΐδα Φοῖβος Ἀπόλλων,

                     τὴν μὲν ἐγὼ σὺν νηΐ τ’ ἐμῇ καὶ ἐμοῖς ἑτάροισι

                     πέμψω, ἐγὼ δέ κ’ ἄγω Βρισηΐδα καλλιπάρῃον

                     αὐτὸς ἰὼν κλισίηνδε, τὸ σὸν γέρας, ὄφρ’ ἐῢ εἰδῇς …

Hampe:           Wie die Chrysëis mir nun wegnimmt Phoibos Apollon –

                     Denn ich werde mit meinem Schiff und meinen Gefährten

                     Sie entsenden –, so hol ich mit schönen Wangen Brisëis

                     Selbst aus deinem Zelt, dein Ehrengeschenk, …

Steinmann:      Wie die Chrysëis mir nun wegnimmt Phoibos Apollon

                     und ich sie heim mit meinem Schiff und meinen Gefährten

                     schicke, so hol’ ich mir selber in meine Baracke des Briseus

                     rosenwangige Tochter, dein Ehrengeschenk, ..

  1. H.: Da die Tochter des Chryses mir wegnimmt Phoibos Apollon,

                     werd ich sie senden mit meinem Schiff und meinen Gefährten,

                     geh aber selber und hole die wangenschöne Brisëis

                     her in meine Hütte, dein Ehrengeschenk …

Ο 504f.:          ἦ ἔλπεσθ’, ἢν νῆας ἕλῃ κορυθαίολος Ἕκτωρ,

                     ἐμβαδὸν ἵξεσθαι ἣν πατρίδα γαῖαν ἕκαστος;

Hampe:           Oder glaubt ihr, daß jeder, wenn Hektor mit funkelndem Helme

                     Unsere Schiffe nimmt, zu Fuß in die Heimat gelange?

Steinmann:      Oder wähnt ihr, wenn Hektor, der Schüttler des Helms, unsre Schiffe

                     nimmt, dass zu Fuß in das Land seiner Väter gelange ein jeder?

  1. H.: Oder hofft ihr, es kommt, wenn der helmfunkelnde Hektor

                     unsere Schiffe erobert, zu Fuß in die Heimat ein jeder?

Η 459f.:          ἄγρει μὰν, ὅτ’ ἂν αὖτε κάρη κομόωντες Ἀχαιοὶ

                     οἴχωνται σὺν νηυσὶ φίλην ἐς πατρίδα γαῖαν, …

Hampe:           Auf denn, wenn die Achäer wieder im Schmucke des Haupthaars

                     Fort mit den Schiffen ziehn zum lieben Lande der Väter, …

Steinmann:      Auf denn, sobald nun wieder die haupthaarumwallten Achaier

                     fortziehen auf den Schiffen zum lieben Land ihrer Väter, …

  1. H.: Auf, wenn erneut die am Haupte langgehaarten Achaier

                     fortziehn mit den Schiffen zum eigenen Heimatgefilde.

Ω 25f.:            ἔνθ’ ἄλλοις μὲν πᾶσιν ἑήνδανεν, οὐδέ ποθ’ Ἥρῃ

                     οὐδὲ Ποσειδάων’ οὐδὲ γλαυκώπιδι κούρῃ, …

Hampe:           Dies gefiel den anderen allen, doch niemals der Hera

                     Noch Poseidon, noch auch dem Mädchen mit strahlenden Augen; …

Steinmann:      Dies gefiel den anderen allen, doch niemals der Hera

                     und dem Poseidon, noch auch der funkeläugigen Jungfrau.

  1. H.: Dies gefiel den anderen allen, doch niemals der Hera

                     noch dem Poseidon und auch nicht der helläugigen Jungfrau.

Β 766:            (Ἵπποι) τὰς ἐν Πηρείῃ θρέψ’ ἀργυρότοξος Ἀπόλλων, …

Hampe:           Die zog auf in Pereia Apollon mit silbernem Bogen, …

Steinmann:      die in Pereie gezüchtet der Silberbogner Apollon, …

Die metrisch z. T. sehr sperrigen Epitheta ornantia waren für Homer-Übersetzer immer ein großes Problem. Aber Hampes Lösung ist keine, denn bei ihm klingt es so, als hole Agamemnon sich Brisëis mit Hilfe seiner schönen Wangen, als drohe Hektor die Schiffe mit Hilfe seines funkelnden Helms zu erobern und als züchte Apollon Pferde mit Hilfe seines silbernen Bogens; besonders abwegig ist aber die Vorstellung von Athene als einem „Mädchen mit strahlenden Augen“, und die „im Schmucke des Haupthaars“ segelnden Achaier sieht man im Geiste zwangsläufig auf einem Wikingerschiff mit Kirk Douglas als Anführer. Steinmann wählt Entsprechungen, die er teilweise neu bildet und die dann nicht immer ganz dem Original entsprechen, aber sie sind, wenn eine Alternative nicht möglich ist, unbedingt vorzuziehen, auch das etwas komisch klingende „Silberbogner“ für ἀργυρότοξος. Zu Steinmanns elliptischem „gezüchtet“ (besser etwa „ernährte“) komme ich später.

  1. Syntax und Formgrammatik

2.1 Der bestimmte Artikel ist aus metrischen Gründen weggelassen

Β 819–821:      Δαρδανίων αὖτ’ ἦρχεν ἐῢς πάϊς Ἀγχίσαο,

                     Αἰνείας, τὸν ὑπ’ Ἀγχίσῃ τέκε δῖ’ Ἀφροδίτη,

                     Ἴδης ἐν κνημοῖσι θεὰ βροτῷ εὐνηθεῖσα, …

Hampe:           Wieder die Danaer führte der tüchtige Sohn des Anchises,

                     Der Aineias, den von Anchises gebar Aphrodite,

                     Als in Idas Tälern die Göttin sich Sterblichem paarte, …

Steinmann:      Die Dardanier führte der tüchtige Sohn des Anchises,

                     er, Aineias – den von Anchises empfing Aphrodite,

                     als an den Hängen des Ida die Göttin dem Sterblichen beilag –, …

  1. H.: Wieder die Dardaner führte der edle Aineias, Anchises’

                     Sohn – dem Anchises gebar ihn die göttliche Aphrodite,

                     die mit dem Sterblichen schlief in den Tälern des Ida, die Göttin –, …

Γ 23–25:         ὥς τε λέων ἐχάρη μεγάλῳ ἐπὶ σώματι κύρσας,

                     εὑρὼν ἢ ἔλαφον κεραὸν ἢ ἄγριον αἶγα

                     πεινάων …

Hampe:           Freute er sich wie ein Löwe, der großem Kadaver begegnet,

                     Ob nun Hirsch mit Geweih oder wilde Ziege er findet,

                     wenn ihn hungert, …

Steinmann:      freute er sich wie ein Leu, wenn er auf ein mächtiges Aas stößt –

                     sei’s einen Hirsch mit Geweih, sei’s eine verwilderte Ziege –

                     in seinem Hunger; …

  1. H.: So wie ein Löwe, weil auf ein großes Aas er trifft, froh ist,

                     ob einen Hirsch mit Geweih oder auch eine Wildgeiß er findet,

                     wenn er hungrig ist, …

Dass Hampe in beiden Fällen schier unerträglich ist – Aphrodite als Vieh, das sich mit undefinierbarem Sterblichem „paart“! –, scheint mir evident, und diesmal nähert Steinmann sich mit „beilag“ und vor allem dem „Leu“ dem Meister Voß. „Wildgeiß“ dagegen stört vielleicht nur Norddeutsche; wörtliches „einen gehörnten Hirsch oder auch eine Wildziege findend“ wäre sicher schlechter, und eine Gemse könnte ein Leu nur hoch in den Bergen finden.

2.2 Ellipse des Hilfsverbs

Λ 745f.:          (Ἐπειοὶ) ἔτρεσαν ἄλλυδις ἄλλος, ἐπεὶ ἴδον ἄνδρα πεσόντα

                     ἡγεμόν’ ἱππήων, ὃς ἀριστεύεσκε μάχεσθαι.

Hampe:           (die Epeier) Flüchteten hierhin und dorthin, als sie der Kämpfer zu Wagen

                     Führer gefallen sahen, der stets der Beste im Kampfe.

Steinmann:      (die Epeier) stoben hierhin und dorthin, sobald sie sahn, wie er stürzte,

                     er, der Führer der Wagenkämpfer, stets Bester im Kämpfen.

  1. H.: (die Epeier) flohen hierhin und dorthin, sobald sie gefallen den Mann, den

                     Führer der Wagenkämpfer, sahn, der der Beste im Kampf war.

Ν 317:            αἰπύ οἱ ἐσσεῖται μάλα περ μεμαῶτι μάχεσθαι …

Hampe:           Schwierig wird es ihm sein, so sehr er auch kampfesbegierig, …

Schadewaldt:   Steil wird es für ihn sein, so sehr begierig er auch ist zu kämpfen, …

Steinmann:      Schwierig wird’s für ihn sein, so sehr’s ihn gelüstet zu kämpfen.

  1. H.: Schwierig wird’s für ihn sein, so begierig er auch ist zu kämpfen.

Ζ 345:             ὥς μ’ ὄφελ’ ἤματι τῷ ὅτε με πρῶτον τέκε μήτηρ …

Hampe:           Hätte doch an dem Tag, als mich meine Mutter geboren, …

Steinmann:      Hätte mich doch an dem Tag, als mich meine Mutter geboren, …

  1. H.: Hätte mich doch an dem Tag, als mich gebar meine Mutter, …

Die Ellipse des Hilfsverbs beim PPP mag auch heute noch gerade angehen, weshalb ja auch Steinmann sie verwendet; Wilhelm Buschs „Drum ist hier, was sie getrieben, / abgemalt und aufgeschrieben“ dürfte auch heutigen von der „What’s App“-Sprache geprägten Kindern keine semantischen Schwierigkeiten bereiten. Aber „der stets der Beste im Kampfe“ überschreitet die Grenze des heute Erträglichen. Im ersten Beispiel bewirkt Hampe durch die Voranstellung eines Genetivs, dass man „der Kämpfer zu Wagen Führer“ erst nach mehrfachem Lesen versteht, und im zweiten Beispiel geht Schadewaldt mit seiner überwörtlichen Wiedergabe von αἰπύ zu weit. Aber wer weiß, vielleicht prägt der Jargon eines Tages „Dieses Problem ist mir zu steil.“ Oder gibt es das schon?

2.3 Obsoleter Kasusgebrauch

Θ 330:            Αἴας δ’ οὐκ ἀμέλησε κασιγνήτοιο πεσόντος, …

Hampe:           Aias vergaß jetzt nicht des gestürzten leiblichen Bruders, …

Schadewaldt:   Doch Aias blieb nicht unbekümmert um den gestürzten Bruder, …

Steinmann:      Aias nun ließ nicht im Stich den hingesunkenen Bruder, …

  1. H.: Aias bemühte sich sehr um den hingefallenen Bruder, …

Γ 410f.:           κεῖσε δ’ ἐγὼν οὐκ εἶμι·– νεμεσσητὸν δέ κεν εἴη –

                     κείνου πορσανέουσα λέχος· …

Hampe:           Dorthin gehe ich nicht, es würde zur Schande mir werden,

                     Jenem das Lager zu teilen; …

Steinmann:      Dorthin gehe ich nicht – man würd’ es wohl übel vermerken –,

                     mit ihm das Bett zu teilen!

Schadewaldt:   Dorthin gehe ich nicht – es wäre ja eine Schande! –,

                     Ihm das Bett zu bestellen!

  1. H.: Dorthin gehe ich nicht – das wäre ja wohl eine Schande! –,

                     ihm es im Bett zu bereiten!

„Vergessen“ mit Genetiv existiert heute nur noch in „Vergissmeinnicht“, aber Hampe zieht diesen Kasus (ohne metrische Notwendigkeit) hartnäckig dem Akkusativ vor. „Leiblich“ für „blutsverwandt“ ist längst ausgestorben, und wie Helena, wenn sie dem Paris das Lager teilen würde, dabei vorginge, ist unerfindlich – mit der Axt in zwei Hälften? Die Wörterbücher empfehlen, πορσαίνειν „bereiten“ in Verbindung mit dem Akkusativobjekt λέχος als euphemistisch für „das Bett mit jemandem teilen“ aufzufassen. Das hindert Schadewaldt nicht daran, Helena sich weigern zu lassen, „das Bett zu bestellen“ – etwa bei Ikea? Oder wie einen Acker? Meine Version trifft doch wohl am ehesten den Sinn, auch wenn sie weder euphemistisch ist noch grammatisch hundertprozentig nachvollziehbar sein mag.

2.4 Zu freie Wortstellung

 

Π 686f.:          νήπιος· εἰ δὲ ἔπος Πηληϊάδαο φύλαξεν,

                     ἦ τ’ ἂν ὑπέκφυγε κῆρα κακὴν μέλανος θανάτοιο.

Hampe:           Ach, der Tor, denn hätt er das Wort des Peliden beachtet,

                     Wär er gewiß dem Verhängnis entronnen des finsteren Todes.

Schadewaldt:   Der Kindische! Denn hätte er das Wort des Peliden bewahrt,

                     Ja, er wäre entronnen der Göttin, der schlimmen, des schwarzen Todes.

Steinmann:      ach, der Narr! Hätte er das Wort des Peliden beherzigt,

                     ja, er wäre entronnen des finsteren Tods schlimmer Göttin.

  1. H.: Dieser Kindische! Hätt er das Wort des Peliden bewahrt, ja,

                     er wär der schlimmen Göttin des schwarzen Todes entronnen.

Υ 262f.:                 φάτο γὰρ δολιχόσκιον ἔγχος

                     ῥέα διελεύσεσθαι μεγαλήτορος Αἰνείαο, …

Hampe:                  denn er meinte, die langhinschattende Lanze

                     Würde ihn leicht durchdringen des hochgemuten Aineias; …

Schadewaldt:          denn er meinte, die langschattende Lanze

                     Werde leicht hindurchdringen des großherzigen Aineias – …

Steinmann:             denn er meinte, die Schatten werfende Lanze

                     des mutig-stolzen Aineias würde nun leicht ihn durchbohren, …

  1. H.: denn er meinte nun, des hochgemuten Aineias

                     weithin schattende Lanze, sie werde leicht ihn durchdringen.

Beide Beispiele belegen, wie unschön Schadewaldts Imitation der Wortfolge ist und wie unnötig es war, dass Hampe ihm darin folgte, auf jeden Fall in Π 687. Steinmanns Version wiederum enthält einen Verstoß gegen die Regeln der deutschen Metrik, wie er ihm immer wieder einmal und Hampe sehr oft unterläuft: die Verwendung eines bestimmten Artikels für die besonders starke betonte erste Silbe des Hexameters („des mutig-stolzen Aineias“).

2.5 Ein Wortbezug ist nicht eindeutig

Ε 125f.:           ἐν γάρ τοι στήθεσσι μένος πατρώϊον ἧκα

                     ἄτρομον, οἷον ἔχεσκε σακέσπαλος ἱππότα Τυδεύς· …

Hampe:           Denn in die Brust dir tat ich die Kampfeskraft deines Vaters,

                     Furchtlos, wie sie der Schildschwinger Tydeus, Tummler der Rosse, / Hatte.

Steinmann:      Denn ich goss in die Brust dir das Ungestüm deines Vaters,

                     wie’s furchtlos hatte der Schildschwinger Tydeus, der Treiber der Rosse.

  1. H.: Denn in die Brust leg ich dir deines Vaters Unbändigkeit, die

                     furchtlose, wie sie der Schildschwinger Tydeus, der Rosslenker, hatte.

Ν 451:            Μίνως δ’ αὖ τέκεθ’ υἱὸν ἀμύμονα Δευκαλίωνα, …

Hampe:           Minos zeugte als Sohn Deukalion dann ohne Tadel, …

Steinmann:      Minos zeugte als Sohn dann Deukalion, den edlen, …

  1. H.: Minos zeugte als Sohn dann den untadeligen Deukalion, …

Ρ 691–693:      ἀλλὰ σύ γ’ αἶψ’ Ἀχιλῆϊ θέων ἐπὶ νῆας Ἀχαιῶν

                     εἰπεῖν, αἴ κε τάχιστα νέκυν ἐπὶ νῆα σαώσῃ / γυμνόν· …

Hampe:           Laufe du schnell zu Achilleus hinab zu den Schiffen Achaias

                     Sag ihm, dass er aufs schnellste den Toten zum Schiffe hin rette, / Nackt; …

Steinmann:      Du aber lauf zu den Schiffen Achaias und sag es Achilleus,

                     ob er wohl eiligst die Leiche, die nackte, rette zum Schiff hin;

  1. H.: Lauf schnell zu den Achaier-Schiffen und sag dem Achilleus,

                     ob er wohl eiligst den nackten Leichnam rette zum Schiff hin.

Bei Hampe ist „furchtlos“, „ohne Tadel“ und „nackt“ rein grammatisch jeweils auf das Subjekt zu beziehen; so erscheint der zu Achill laufende Antilochos als der erste Flitzer (oder Blitzer). Bei Steinmann hat „furchtlos“ zwei unbetonte Silben, was metrisch sehr unschön klingt; auch diese Art von Nichtbeachtung der Hexameterregeln findet man bei ihm nicht selten.

2.6 Nur mit Hilfe des griechischen Wortlauts verständliche Formulierungen

 

Ε 875f.:           σοὶ πάντες μαχόμεσθα· σὺ γὰρ τέκες ἄφρονα κούρην,

                     οὐλομένην, ᾗ τ’ αἰὲν ἀήσυλα ἔργα μέμηλεν.

Hampe:           Mit dir hadern wir alle; du zeugtest das sinnlose Mädchen,

                     Das verderbliche, das stets denkt an gewaltsame Taten.

Steinmann:      Mit dir hadern wir alle: Du zeugtest die Törin, die Jungfrau,

                     die verruchte, die stets nur frevle Taten im Sinn hat.

  1. H.: Wir alle hadern mit dir; du gebarst die vernunftlose Jungfrau,

                     die verderbliche, welche nur heillose Dinge stets anstellt.

Θ 247:            αὐτίκα δ’ αἰετὸν ἧκε, τελειότατον πετεηνῶν, …

Hampe:           Gleich entsandt er den Adler, den gültigsten unter den Vögeln, …

Schadewaldt:   Und sogleich schickte er einen Adler, den gültigsten unter den Vögeln, …

Steinmann:      Gleich schickte er den verheißungsvollsten der Vögel, den Adler, …

  1. H.: Gleich schickte er den verlässlichsten unter den Vögeln, den Adler, …

Was an dem „Mädchen“ Pallas Athene „sinnlos“ sein soll, weiß ich nicht, und ebenso wenig, wieso ein Vogel „gültig“ und speziell der Adler „der gültigste“ sein kann, was aber schon vor Hampe Schadewaldt klar gewesen sein muss. Da τέλειος primär „vollendet, vollkommen“ bedeutet und die Antike aus dem Vogelflug Prophezeiungen herauslas, ist vermutlich gemeint, dass solche, die der Adlerflug ermöglicht, am sichersten seien; deshalb meine Wiedergabe mit „verlässlichst“. Steinmanns „verheißungsvollst“ dürfte das gleichfalls meinen, aber für mich wäre ein „verheißungsvoller“ Vogel einfach einer, von dem man Großes erwarten darf, z. B. ein Papagei, bei dem von vornherein mit besonderer Sprachimitationsgabe zu rechnen ist.

2.7 Zu wörtlich übersetzt

Ε 493:             Ὣς φάτο Σαρπηδών, δάκε δὲ φρένας Ἕκτορι μῦθος· …

Hampe:           Also sprach Sarpedon; sein Wort biß Hektor ins Zwerchfell; …

Schadewaldt:   So sprach Sarpedon, und in den Sinn biß Hektor das Wort.

Steinmann:      So sprach Sarpedon, und ins Zwerchfell biss Hektor die Rede.

  1. H.: So Sarpedon; das Wort verletzte Hektor im Herzen.

Π 483f.:          ἠὲ πίτυς βλωθρή, τήν τ’ οὔρεσι τέκτονες ἄνδρες

                     ἐξέταμον πελέκεσσι νεήκεσι νήϊον εἶναι· …

Hampe:           Oder die schlanke Fichte, die Zimmerer hoch in den Bergen

                     Fällen mit neugeschliffenen Äxten, um Schiffsholz zu werden.

Schadewaldt:   Oder eine Fichte, eine hochragende, die in den Bergen Zimmermänner

                     Herausschlugen mit Äxten, neugeschliffenen, um ein Schiffsbalken zu sein: …

Steinmann:      oder die schlanke Fichte, die Zimmerer hoch in den Bergen

                     fällten für Schiffbauholz mit neugeschliffenen Äxten: …

  1. H.: oder die ragende Fichte, die die Bauleute abhauten in den

                     Bergen mit neugeschliffenen Äxten, dass Schiffsholz sie werde.

Ψ 512f.:          δῶκε δ’ ἄγειν ἑτάροισιν ὑπερθύμοισι γυναῖκα

                     καὶ τρίποδ’ ὠτώεντα φέρειν· …

Hampe:           Gab seinen stolzen Gefährten das Weib, um weg es zu führen,

                     Und den geohrten Dreifuß zu tragen;

Schadewaldt:   Und gab den hochgemuten Gefährten die Frau, sie wegzuführen,

                     Und den geohrten Dreifuß zu tragen.

Steinmann:      gab seinen stolzen Gefährten die Frau, hinweg sie zu führen

                     und den gehenkelten Dreifuß zu tragen; …

Ω 743–745:     οὐ γάρ μοι θνῄσκων λεχέων ἐκ χεῖρας ὄρεξας,

                     οὐδέ τί μοι εἶπες πυκινὸν ἔπος, οὗ τέ κεν αἰεὶ

                     μεμνῄμην νύκτάς τε καὶ ἤματα δάκρυ χέουσα.

Hampe:           Sterbend hast du mir nicht die Hände gereicht von dem Lager

                     Noch mir gesagt ein dichtes Wort, an welches ich immer

                     Denken könnte die Nächte und Tage, Tränen vergießend.

Schadewaldt:   Denn nicht hast du mir sterbend vom Lager die Hände gereicht

                     Und mir gesagt ein dichtes Wort, an das ich immer

                     Denken könnte die Nächte und Tage, Tränen vergießend!

Steinmann:      strecktest du doch nach mir nicht vom Lager, sterbend, die Hände,

                     und sprachst zu mir kein bleibendes Wort, an das ich mich immer

                     könnte erinnern die Nächte und Tage, Tränen vergießend!

  1. H.: Nicht aus dem Bett zu mir hingestreckt hast du die Hände im Sterben

                     noch mir ein tröstendes Wort gesagt, an welches ich ständig

                     denken könnte bei Nacht und am Tag, meine Tränen vergießend.

Es sollte grundsätzlich das Ziel eines Homer-Übersetzers sein, dass er den Wortlaut des Originals so authentisch wie möglich im Deutschen wiedergibt. Aber es gibt Fälle, in denen eine Anpassung an die Zielsprache und an die Kultur der Gesellschaft, in der sie gesprochen wird, unumgänglich scheint. Das Zwerchfell ist für uns nun einmal nicht mehr Sitz der Seele – lediglich das Wort „schizophren“ setzt das noch voraus, aber die, die das wissen, werden immer weniger –, und es ist auch kein Fell zum Hineinbeißen. Im zweiten Beispiel schließt der griechische Vers den Zweck des Baumfällens einfach mit Infinitiv an, aber im Deutschen muss ein „um-zu-Satz“ vom Subjekt des Hauptsatzes abhängen (was heute kaum noch jemand beherzigt), weshalb Hampes „Zimmerer“ sich zwangsläufig in Schiffsholz verwandeln. Mögen die Henkel eines Dreifußes wie Ohren aussehen, so klingt „geohrt“ doch einfach lächerlich, auch wenn es durch das Grimmsche Wörterbuch in der Form „geöhrt“ für das 18. Jahrhundert belegt ist. Mit πυκινὸν ἔπος schließlich dürfte insofern ein „dichtes, dickes, festes“ Wort gemeint sein, als es massive Wirkung haben soll, ein „bleibendes Wort“ also, wie Steinmann schreibt, oder ein „tröstendes“, das ich wählte, weil mein guter alter Benseler-Kaegi, den ich einst als Schüler am Alten Gymnasium in Oldenburg benutzte, es vorschlägt.

Es dürfte deutlich geworden sein, dass die einem denkbar breiten Publikum preiswert zugängliche Versübersetzung der Ilias von Roland Hampe das Werk weder adäquat repräsentiert noch geeignet ist, für die Lektüre zu werben, ja, wie die zitierten Stellen zeigen, eher abzuschrecken; Verse wie diese finden sich auf jeder Seite. Die Ilias Kurt Steinmanns dagegen ist trotz des einen oder anderen Rückfalls in die Voßsche Tradition insgesamt sehr gut lesbar, aber nur für ein wohlhabendes bibliophiles Publikum interessant. Da ich aber, wie gesagt, der Überzeugung bin, dass deutsche Hexameter besser dazu geeignet sind, einen Eindruck von der Kunst des Originals zu vermitteln, schlug ich nach Erstellung des griechischen Textes für die geplante Reclam-Bilingue dem Verlag vor, dass ich Hampes Version mit Blick auf moderne Ansprüche überarbeite; ich legte sogar meine Wiedergabe von Buch Α und Β als Probe vor. Aber Reclam sieht auf unbestimmte Zeit keine Möglichkeit, einen redigierten Hampe herauszubringen, und deshalb lieferte ich, wie ursprünglich abgemacht, nur den griechischen Text. So bleibt nur zu hoffen, dass Steinmanns Verdeutschung vielleicht doch einmal als leicht erschwingliches Taschenbuch erscheint. Denn das Epos, das ich zu den bedeutendsten Leistungen des menschlichen Geistes zähle, sollte in deutscher Übersetzung von möglichst vielen gelesen werden, nicht nur von Kennern der Antike, die mit Schadewaldts überwörtlicher Wiedergabe und seiner passagenweise sehr schwer verständlichen Anverwandlung des Deutschen an Homers Griechisch zurechtkommen.

Bei diesem Aufsatz handelt es sich um den Abdruck eines Vortrags, den ich am 14. September 2018 am Alten Gymnasium Oldenburg als Festvortrag beim NAV-Landestag 2018 hielt. Für die sorgfältige Durchsicht bin ich wieder Martina Laue (Lübbecke) und Dr. Matthias Hengelbrock (Oldenburg) zu Dank verpflichtet.


Bibliographie

Häntzschel, Georg: Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung, München 1977 (Zetemata 68).

Hampe, Roland: Homer: Ilias. Übersetzung, Nachwort und Register, Stuttgart 1979 (Reclams Universal-Bibliothek 249); Nachdruck 2017.

–   Homer, Odyssee. Griechisch/Deutsch. Übersetzung, Nachwort und Register, Stuttgart 2010 (Reclams Universal-Bibliothek 18640).

Holzberg, Niklas: Vergil: Aeneis. Hg. und übersetzt, Berlin 2015 (Sammlung Tusculum).

Vergil: Hirtengedichte. Bucolica. Landwirtschaft. Georgica. Lateinisch-deutsch. Hg. und übersetzt, Berlin 2016 (Sammlung Tusculum).

–   Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch-deutsch. Hg. und übersetzt, Berlin 2017 (Sammlung Tusculum).

Rupé, Hans: Homer: Ilias. Griechisch und deutsch, München 1947 (Tusculum-Bücherei); mehrfach nachgedruckt.

Schadewaldt, Wolfgang: Homer: Die Odyssee. Übersetzt in deutsche Prosa, Hamburg 1958 (Rowohlts Klassiker 29/30); mehrfach nachgedruckt.

–   Homer: Ilias. Neue Übertragung, Frankfurt am Main 1975 (Insel Taschenbuch 153); mehrfach nachgedruckt.

Steinmann, Kurt: Homer: Odyssee. Aus dem Griechischen und mit einem Kommentar. Mit einem Nachwort von Walter Burkert und 16 Originalillustrationen von Anton Christian, Zürich 2007.

–   Homer: Ilias. Aus dem Griechischen übersetzt und kommentiert. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Mit 16 Illustrationen von Anton Christian, Zürich 2017.

Weiher, Anton: Homer: Odyssee. Griechisch und deutsch, München 1955 (Tusculum-Bücherei); mehrfach nachgedruckt.

Niklas Holzberg

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