Bei dem Stichwort „Schifffahrt“ mag der urlaubshungrige Tourist zuerst an Kreuzfahrten und somit an eine luxuriöse Reiseart denken, die Weltmeere und fremde Länder kennenzu­lernen, der historisch Interessierte an die glorreiche Entdeckung Amerikas und die wirt­schaftlich wie kulturell bedeutsame Erschließung der Seehandelswege, der von der Seefahrt lebende Fischereibesitzer an ertragreiche Fanggebiete, der ökologisch Kritische an die Ver­schmutzung der Meere und die damit einhergehenden tödlichen Auswirkungen auf die dort lebenden Tiere. Je nachdem, welche Assoziationen der Einzelne mit der Schifffahrt verbindet oder welche Interessen er mit ihr verfolgt, fällt seine Bewertung über sie aus. Die Vielfältig­keit der Bewertungen ist dabei nicht neu. Schon die griechischen und römischen Autoren der Antike, in der das Befahren der Meere zu unterschiedlichen Zwecken fester Bestandteil des Lebens war, geben verschiedene Bewertungen über die Schifffahrt ab: Der griechische Dich­ter Aischylos lässt sie in der Tragödie Der gefesselte Prometheus seinen Titelhelden als Er­rungenschaft des Menschen preisen, der Tragödiendichter Sophokles dagegen sieht sie in seinem Drama Antigone als zweischneidiges Schwert an, die römischen Elegiker Properz, Tibull und Ovid verfluchen sie gar. Oftmals sind diese Bewertungen – und darin gleichen sie heutigen – an die Haltung, die der Einzelne zum menschlichen Fortschritt und zur kulturellen Entwicklung des Menschen einnimmt, geknüpft. Um ihre Bewertung zu begründen, greifen die antiken Dichter auf unterschiedliche Kulturentstehungstheorien, aszendente wie deszen­dente, zurück. Die Aussagen ihrer Texte in diesen Kulturentstehungstheorien zu verorten und die so gewonnenen Ergebnisse anschließend miteinander zu vergleichen, um abschließend die Frage zu beantworten, auf welcher Grundlage und in welcher Ausprägung die antiken Dichter die Schifffahrt als Akt des menschlichen Fortschritts befürworten oder sie als unrechtmäßigen Vorstoß in buchstäblich fremde Gewässer ablehnen, ist das Ziel der folgenden Untersuchung.

Abschließend soll die Frage geklärt werden, ob die Auffassungen, die wir heute von der Verantwortlichkeit des Menschen für Natur und Umwelt haben, in den Bewertungen der Schifffahrt, die die antiken Autoren vornehmen, möglicherweise vorgeprägt sind.

Entwicklung und Bewertung der menschlichen Fertigkeiten im Weltaltermythos  und in Kulturtheorien unter besonderer Berücksich­ti­gung der Rolle des Prometheus

Hesiod

Die früheste Kulturentstehungslehre ist bei dem griechischen Dichter Hesiod um 700 v. Chr. greifbar. Sowohl in der Theogonie als auch in den Werken und Tagen versucht Hesiod die harten Lebensbedingungen seiner Gegenwart als Ergebnis einer Entwicklung zu deuten. In beiden Werken dient der Prometheus-Mythos als Erklärung für den gegenwärtigen Zustand:

Nachdem Prometheus für die Menschen durch eine List das Recht gewonnen hat, den guten Anteil der Opfertiere nicht den Göttern opfern zu müssen, sondern ihn selbst behalten zu dürfen, bestraft Zeus die Menschen, indem er ihnen das Feuer entzieht; in den Werken und Tagen rächt sich Zeus zusätzlich dadurch an den Menschen, dass er die Nahrung im Boden verbirgt und sie damit zwingt, auf dem Feld für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Doch Pro­metheus stiehlt das Feuer für seine Schützlinge erneut und so lässt Zeus, um die Sterblichen ein weiteres Mal zu strafen und einen Ausgleich zu erzielen, Hephaistos und Aphrodite die Pandora erschaffen. Diese stellt, als Prototyp der Frau erdacht, ein zukünftige Generationen von Männern quälendes Übel dar und ist in den Werken und Tagen zusätzlich mit einem Gefäß voller Plagen ausgestattet, die sie bis auf die Hoffnung allesamt auf die Menschheit loslässt. Prometheus aber wird, zumindest in der Theogonie, zur Strafe an einen Felsen geket­tet und muss einen Adler jeden Tag aufs Neue von seiner Leber fressen lassen.1

Festzustellen gilt es hier, dass die Menschen erst durch die Entfremdung von den Göttern, herbeigeführt durch die List des Prometheus, und die von ihnen verhängte Bestrafung ge­zwungen sind, eigenständig zu werden und für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Hier­mit wird die Arbeit als Lebensgrundlage des Menschen etabliert und als solche gleichzeitig verurteilt, da sie bei Hesiod wie die Entfernung von den Göttern eine Verschlechterung der menschlichen Lebensumstände bedeutet.2

Außer dem Prometheus-Mythos stellt Hesiod in den Werken und Tagen aber auch den Weltaltermythos vor, in dem er von fünf aufeinander folgenden Geschlechtern der Menschen berichtet: Am Anfang der Zeit lebt das goldene Geschlecht der Menschen, noch unter der Herrschaft des Kronos, in einer Art Utopie: Die Menschen dieses Geschlechtes verbringen ihr Leben in Harmonie, Überfluss sowie Gesundheit und freuen sich an ihrer Arbeit, welche noch freiwillig ist. Nach dem Niedergang dieses ersten Geschlechtes erschaffen die Götter das silberne Geschlecht: Nun leben die Menschen viel kürzer als ihre Vorgänger, neigen zu Ge­walt und huldigen den Göttern nicht mehr. Deswegen lässt Zeus diesen den Untergang zuteil­werden. Dafür erschafft er das eherne Geschlecht, welches noch gewalttätiger als das vorheri­ge ist und sich selbst durch Kriege vernichtet. An vierter Stelle wird durch Zeus das Ge­schlecht der Heroen geschaffen. Hiermit sind die Helden der bedeutenden Epen gemeint, wel­che, nachdem sie gestorben sind, auf der Insel der Seligen sorglos leben dürfen. Das fünfte Geschlecht ist das eiserne, das zur Zeit Hesiods auf der Erde lebt. Die eisernen Menschen werden als von Mühsal geplagt und unehrenhaft beschrieben. In einem Ausblick auf das Kommende prophezeit Hesiod dann, dass die Menschen immer weiter verkommen werden, bis sie die Sittlichkeit, in Form von Ehrfurcht und Gerechtigkeit, schließlich ganz verlässt.3

Auch in dieser Erzählung verschlechtert sich die Situation des Menschen durch eine Ent­wicklung. Anders als im Prometheus-Mythos hat diese aber nichts mit dem technischen Fort­schritt zu tun, sondern zeigt sich in der Verschärfung der Lebensbedingungen, denen die Men­schen ausgesetzt sind; die Härte ihrer Alltagssituation wird dabei stets durch die anti­thetisch zu ihr stehende Utopie des bäuerlichen Lebens im Goldenen Zeitalter, in welches Hesiod sich zurücksehnt, hervorgehoben. Wie im Weltalter-Mythos wird die Arbeit, die vorher freiwillig war und Freude bereitete, nun obligatorisch und damit für die Menschen zum Fluch.

Ich komme zu dem Schluss, dass Hesiod Fortschritt und Entwicklung grundsätzlich miss­billigt; von der Einhaltung des Rechts verspricht er sich nicht eine Entwicklung zum Besse­ren, sondern eine Rückkehr zur Lebensweise des Goldenen Geschlechts und eine Wiederan­näherung an die Götter. In seinen beiden Werken beschreibt Hesiod den Menschen also als Wesen, das zum Überleben gezwungenermaßen sowohl auf Arbeit als auch die Wahrung des Rechts angewiesen ist. Fortschritt und kulturelle Entwicklungen stehen bei ihm in einem schlechten Licht, da sie stets eine Verschlechterung bedeuteten und zudem Ergebnis einer Entfernung von den Göttern sind.

Die Schifffahrt verurteilt Hesiod in den Werken und Tagen, V. 236, übrigens direkt, da sie dem Ideal des Goldenen Zeitalters von der ausschließlichen Arbeit des Menschen auf dem Lande und dem mühelosem Erwerb des Lebensunterhaltes und damit auch seiner konservati­ven Grundhaltung entgegensteht.4

Die Sophisten

Die Sophisten, die ab der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. oftmals als Wanderlehrer auf­traten, hatten das Anliegen, die Gesellschaft ihrer Zeit zu einer aufgeklärten Denkweise zu führen. Von den ionischen Naturphilosophen unterschied sie, dass sie die Entwicklung des Menschen in mehrere Stufen geteilt sahen und sich nicht scheuten, auf mythische Gleichnisse zurückzugreifen.

Bestes Beispiel hierfür ist Platons Werk Protagoras, in dem Platon den gleichnamigen, zu seiner Zeit sehr einflussreichen Vorsokratiker den Prometheus-Mythos neu erzählen lässt und so versucht, dessen Auffassung von der Entstehung der menschlichen Kultur sowie dessen Bewertung dieser Kultur darzustellen:5

In Protagoras´ Version des Mythos werden nämlich Prometheus und sein Bruder Epi­metheus von den Göttern mit der Aufgabe bedacht, allen Lebewesen bestimmte Fähigkeiten zuzuteilen. Epimetheus bittet darum, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Nachdem er aber bereits alle Fähigkeiten an die nicht vernunftbegabten Wesen verteilt hat, fällt ihm auf, dass er die Menschen außer Acht gelassen hat. Da der Mensch ohne jegliche Fähigkeiten nicht über­lebensfähig wäre, stiehlt Prometheus für diesen das Feuer sowie die Kunstfertigkeiten des Hephaistos und der Athene. Zwar können die Menschen so für ihren Lebensunterhalt sorgen und fangen auch an, die Götter zu verehren, sind aber gegenüber den anderen Lebewesen nicht durchsetzungsfähig, weshalb sie versuchen, sich gegen diese zusammenzuschließen. Dies fruchtet jedoch nicht, da Prometheus ihnen nicht die Staatskunst stehlen konnte, und ihre Versuche so stets in Streit und Kämpfen enden. Schließlich hat Zeus Mitleid und schickt den Menschen durch Hermes die Staatskunst, welche aus Recht (dike) und gegenseitiger Rück­sichtnahme (aidos) besteht und allen zuteilwird.

Große Bedeutung hat bei Protagoras die Teilung des Fortschrittes des Menschen in zwei Abschnitte. Anfangs wird auch hier deutlich, dass der Mensch den Tieren körperlich unter­legen, von Beginn an jedoch mit Vernunft ausgestattet ist. Protagoras hält dann die technische Kunstfertigkeit (entechnos sophia) für unverzichtbar für den Menschen, damit er auf sich allein gestellt überleben kann. Jedoch reicht diese allein nicht aus, damit er sich gegen andere Lebewesen zur Wehr setzen kann, weshalb der Mensch in einem letzten Schritt mit der Staats­kunst (politeia) ausgestattet wird. Erst durch diese ist er nach Protagoras überlebensfähig.

Die gleiche Auffassung wird im 5. Jahrhundert v. Chr. im so genannten Anonymus Iam­blichi vertreten, die Menschen hätten aus Not sowohl die technischen Fähigkeiten als auch das Staatswesen entwickelt, womit der Antrieb der menschlichen Entwicklung, welcher schon bei Protagoras angedeutet ist, konkret benannt wird.6

In einem Versuch, den Götterglauben als Schöpfung der Menschen zu erklären, stellt der Sophist Prodikos die These auf, dass die frühen Menschen erst Dinge, die ihr Überleben si­cherten und ihnen Freude bereiteten, als Götter angesehen hätten, später dann die Entdecker dieser Dinge. Anders als Protagoras hält er außerdem den Ackerbau für die früheste Sicherung des Überlebens, nicht die technische Kunstfertigkeit.

Selbst der Sophist Kritias, der gewaltbereite Gegner der Demokratie, unterstützt in seinem Versuch, die Tyrannei zu rechtfertigen und den Götterglauben zu erklären, die Lehre des Nomos: Vor der Einführung des Nomos hätten die Menschen wie wilde Tiere ohne jede Moral gelebt. Nach der Erfindung des Rechts durch den Menschen aber sei weiterhin insgeheim gefrevelt worden, weshalb der Glaube an die alles sehenden und strafenden Götter zur Durchsetzung des Rechtes etabliert worden sei.

Die Sophisten sehen die Entwicklung menschlicher Kultur also als schrittweise ablaufen­den Prozess an und betonen die Notwendigkeit von Vernunft, technischem Können und ins­besondere des Nomos für die Sicherung des menschlichen Lebens.7 Kultur und Fortschritt seien durch Not bedingt und damit ein gerechtfertigtes Werkzeug des Menschen. An den Versuchen, den Götterglauben als Schöpfung des Menschen darzustellen, kann man erkennen, wie viel selbstbewusster und fortschrittsbejahender die Sophisten waren, wenn man sie z.B. mit Hesiod vergleicht. Wenn Prodikos die Entstehung des Glaubens dadurch erklärt, dass Menschen, die den Fortschritt vorantreiben, zu Göttern erhoben worden seien, klingt darin nicht nur die Würdigung der Existenzsicherung, sondern sogar Stolz auf die Errungenschaften und Fähigkeiten des Menschen an.8

Prometheus als „Entwicklungshelfer“ der Menschen?

Sowohl bei Protagoras als auch bei Hesiod begegnet uns Prometheus als der die Ent­wicklung des Menschen Veranlassende oder Fördernde. Die Auffassungen der beiden Auto­ren über die Wertung dieser Leistung unterscheiden sich jedoch in großem Maße.

Bei Hesiod ist Prometheus trotz seiner zahlreichen Versuche, das Leben der Menschen zu erleichtern, nicht im Stande, dieses Ziel zu erreichen, sondern beschert den Menschen im Gegenteil durch jede seiner Taten ein größeres Unheil. Somit führt er sie im Grunde genom­men auch nicht zum Fortschritt und zur Entwicklung, sondern bringt sie in immer misslichere Lagen, mit denen die Menschen sich nun abfinden müssen; damit ist er der Verursacher ihres Verfalls.9 Auch die Darstellung des Prometheus durch Hesiod spricht gegen den angeblichen Menschenfreund: Stets wird er mit dem Attribut „listig“ bedacht und selbst sein Anliegen, den Menschen zu helfen, erscheint, da keinerlei Beweggründe, wie etwa Mitleid, dafür angeführt oder angedeutet werden, durch Freude an Verrat motiviert.10 Auch daran, dass Hesiod sich in keiner Weise entrüstet über die Bestrafung des Titanen zeigt,11 kann man erkennen, dass er Prometheus die Schuld am Elend der Menschen zuweist.

Einen anderen Blickwinkel auf Prometheus nimmt Protagoras ein: Bei ihm tritt Prome­theus als tatsächlicher Retter der Menschen auf, indem er den Fehler seines Bruders Epime­theus, den Menschen mit keiner Eigenschaft, die ihn überlebensfähig macht, auszustatten, durch einen Diebstahl der technischen Kunstfertigkeit ausgleicht und dem Menschen so die Grundlage für die Entwicklung einer eigenen Kultur vermacht. Obwohl die daraus hervor­gehenden Errungenschaften den Menschen zuzuschreiben sind, wird Prometheus von Prota­goras als Stifter des vom Sophisten als erstrebenswert erachteten Fortschritts bewertet; er ist somit als Symbol der Entwicklung und des Erfindungsgeistes der Menschen zu verstehen. Auch dass Prometheus in dieser Version von den Göttern nicht gestraft wird, sondern Zeus den Menschen im Verlaufe der Geschichte sogar nach dem Willen des Titanen mit der Staatsfähigkeit ausstattet, spricht dafür, dass Protagoras sein Handeln für rechtmäßig erachtet.

Der Vergleich der Bewertungen, die Hesiod und Protagoras für Prometheus´ Tat abgeben, erlaubt Rückschlüsse auf deren Auffassung vom Fortschritt. So ist Prometheus bei Hesiod der Unglücksbringer für die Menschen, da er diese stets in eine misslichere Lage bringt, und seine Darstellung ist dementsprechend ungnädig. Hesiod also sieht den Fortschritt der Menschen und die Entwicklung von Kultur durchweg an eine Verschlechterung ihrer Situation gebun­den. Protagoras´ Prometheus hingegen handelt, obwohl er einen Diebstahl begeht, größtenteils nach dem Willen der Götter und seine Gabe bringt den Menschen die laut Protagoras zum Überleben notwendige Kultur. Fortschritt erfährt hier also eine Aufwertung durch den Gedan­ken der Notwendigkeit und damit auch der Rechtmäßigkeit des Fortschrittes. Folglich gebührt Prometheus sogar Dank für die Initiierung der menschlichen Entwicklung. Hesiods ankla­gende Haltung Prometheus gegenüber und Protagoras´ Lob der durch den Titanen initiierten Kulturentstehung, das der sophistischen Aufklärung entspricht, stehen also diametral zuein­ander.

Die Bewertung der Schifffahrt bei den griechischen Tragikern Aischylos und Sophokles – Eine literarische Verortung

Die Bewertung der Schifffahrt in Aischylos´ Drama Der gefesselte Prometheus

In dem ihm zugeschriebenen Drama Der gefesselte Prometheus lässt der Dichter Aischylos den an einen Felsen gefesselten Titelhelden Prometheus eine gewaltige Rede an den Chor, beste­hend aus den Töchtern des Okeanos, über die kulturellen Errungenschaften des Menschen und seinen Verdienst daran halten.

Der gefangene Titan beginnt seine Rede damit, die Ausgangssituation der Menschen zu beschreiben (V. 442-457):12 Die Menschen lebten ohne jedweden Verstand („ἄτερ γνώμης“) und ohne jedes Wissen („νηπίους“), Tieren gleich in Höhlen. In diesem Zustand war es ihnen gar nicht möglich, ihre Umwelt überhaupt richtig zu erfassen und sich der Möglichkeiten zu bedienen, die diese ihnen bot (vgl. V. 454 ff.). Solches ändert Prometheus jedoch, indem er den Menschen Erkenntnis verleiht, sodass er sie durch diese Gabe die Fähigkeiten lehren kann, von denen er im Folgenden stolz zu berichten weiß (V. 458-506):13 Neben Hausbau, Holzbau und Ackerbau lehrte Prometheus die Menschen auch die Zahl und die Schrift zur Bewahrung des Wissens (vgl. V. 461). Weiterhin erfand er für sie das Riemenzeug und den Wagen, sodass der Mensch seine Mühen an das Tier abgeben konnte. Und auch die Entwicklung der Schifffahrt sei seine Leistung gewesen. Bevor er nun mit der Aufzählung seines Vermächtnisses an die Menschheit fortfahren kann, beklagt er die Ausweglosigkeit seiner Situation, und auch die Chorführerin äußert ihr Bedauern. Dann fährt Prometheus fort, indem er ebenso Medizin, Wahrsagekunst und Bergbau als von ihm erdachte Künste darstellt. Schließlich hält er fest, dass er für jede Kunst der Menschen verantwortlich zu machen sei, und präsentiert sich hiermit als Schaffer aller menschlichen Kultur.14

Um Aischylos´ Bewertung der Schifffahrt, welche als ein Teilbereich der menschlichen Entwicklung im Text genannt wird, zu erfassen, ist es wichtig, zuerst die Ansicht des Autors zum Fortschritt zu ermitteln: Ähnlich wie in dem von Protagoras vorgetragenen Mythos existieren laut Aischylos die Menschen anfangs ohne Verstand und Fähigkeiten und sind im Grunde genommen nicht überlebensfähig. Erst durch Prometheus, der sie alles lehrt, können sie sich eine Zivilisation errichten und sind im Stande, sich ihre Umgebung zunutze zu machen. Die Notwendigkeit dieser Entwicklung spricht auch im Gefesselten Prometheus für eine Befürwortung des Fortschrittes. Auch die ablehnende Bewertung des Urzustandes als Ausdruck der Nomos-Physis-Antithese15 ist Zeichen dafür, dass die kulturelle Entwicklung vom Autor als Aufwertung der menschlichen Lebenssituation wahrgenommen wird. Die prozessartige Entstehung von Kultur wird vom Dichter also durchaus begrüßt, dabei nicht nur als Notwendigkeit befürwortet, sondern sogar als Errungenschaft gefeiert. Prometheus rettet die Menschen durch seine Tat vor der Vernichtung und erscheint dadurch als Held.

Für die Bewertung der Schifffahrt im Drama muss nun ihre Stellung innerhalb der anderen Fähigkeiten betrachtet werden, die die Menschen durch Prometheus erlangen: Obwohl keine stufenweise ablaufende Entwicklung der Fähigkeiten des Menschen beschrie­ben wird, lässt sich in der Reihenfolge ihrer Nennung doch ein Muster erkennen: Nach der Ausstattung der Sterblichen mit Verstand, durch welche diese überhaupt erst befähigt werden dazuzulernen, lehrt Prometheus zuerst die Grundlagen menschlichen Wissens, welche auch der Bewahrung eben dieses Wissens dienen, bevor er sich an die Vermittlung der höheren Künste macht.16 Die von Prometheus initiierten Errungenschaften der menschlichen Entwick­lung sind hier also nach ihrer Komplexität bzw. ihrer Progressivität geordnet. Bezieht man nun ein, dass Prometheus, da er von der Chorführerin unterbrochen wird, in zwei Schüben von seinen Verdiensten für die Menschheit berichtet, wird deutlich, wie hoch der Dichter die Schifffahrt, nämlich als höchstes denkbares Maß der Entwicklung, schätzt.17

Die Bewertung der Schifffahrt in Sophokles’ Drama Antigone

In seinem Drama Antigone, aufgeführt im Jahr 442 v. Chr., setzt sich Sophokles, wie Aischylos ein griechischer Tragiker, mit der Rechtmäßigkeit von Schifffahrt und Fortschritt auseinander.

Nachdem die Leiche des Polyneikes, über die ein Bestattungsverbot verhängt worden war, mit Staub bedeckt aufgefunden worden ist, singt der Chor im ersten Stasimon ein sprachgewaltiges Lied auf die Leistungen des Menschen und die damit verbundenen Gefahren (V. 332-367).18 Die ambivalente Sicht, welche in diesem Stasimon des Chores auf die kulturellen Errungenschaften des Menschen, zu denen auch hier die Schifffahrt gehört, vermittelt wird, lässt sich bereits an der Verwendung des griechischen Wortes deinos (sowohl schrecklich als auch gewaltig) ablesen. Eine Auslegung des Menschen als beson­ders wird dadurch ebenso gerechtfertigt wie seine Einschätzung als unheimlich. So ist das erste Lob, welches in dem Lied auf die Kräfte des Menschen ausgesprochen wird, bereits zweischneidig.19

Weiterhin sei der Mensch allein für die Schöpfung von Kultur in jeglicher Form verant­wortlich und nur der Tod setze ihm eine Grenze, weil die Sterblichen Krankheiten durch Medizin zu behandeln wüssten.20Die Gefahr, die in dieser Aussage steckt, macht Sophokles durch den Chor deutlich, welcher bald darauf verkündet, dass die Freiheit, die der Erfin­dungsgeist der Menschen mit sich bringe, auch bedeute, dass der Mensch die Möglichkeit habe, schlecht zu handeln (V. 365ff.).

Wodurch schlechtes Handeln definiert wird, sagt Sophokles sogleich im Folgenden (V. 368-375):21 Wer sich nicht an die Gesetze der polis halte und das ungeschriebene Gesetz der Götter missachte, handele moralisch fragwürdig. Damit deutet der Chor der thebanischen Greise auf den frevelhaften Übermut beider Protagonisten und ihr dadurch letztlich begrün­detes Scheitern hin: Antigone, die ihren Bruder Polyneikes gegen das Verbot des Herrschers Kreon, ihres Onkels, mit Staub bedeckt hat, übertritt die Gesetze der Stadt, Kreon frevelt mit seinem Bestattungsverbot gegen die ewig gültigen Satzungen der Götter. Das Kriterium der Gesetzesübertretung ist entscheidend, um die Bewertung der Schifffahrt verstehen zu können: Zwar wird diese als gewaltige und kühne Leistung dargestellt, an ihr sogar die Gewaltigkeit des Menschen belegt, jedoch wird sie in einem Zuge mit der Schändung der Erde durch den Pflug (vgl. V. 340) genannt und durch das Vor- oder sogar Eindringen des Menschen in die Gewässer (vgl. V. 336) selbst mit einer negativen Konnotation versehen: Das Eingreifen und das Eindringen in die Natur stellen bei Sophokles nämlich neben einem Durchbruch des technischen Fortschritts auch einen Verstoß gegen göttliches Recht dar,22 wodurch die vor­malige Kühnheit nun den Beigeschmack von Dreistigkeit erhält. Hieraus ergibt sich auch, dass der Mensch eine Verantwortung gegenüber der Natur trägt, da ihre Verletzung gegen jenes göttliche Recht verstößt.23

Obwohl die Schifffahrt neben anderen Errungenschaften in Sophokles´ Antigone zwar als bedeutende und immense Leistung anerkannt wird, bleibt hier eine kritische Distanz und tendenziell eher ablehnende Haltung dieser gegenüber zu konstatieren, da die durch sie laut dem Dichter vollzogene Verletzung der Natur der breiten religiösen Ansicht des 5. Jahrhun­derts v. Chr. widerspricht.

Die Positionen der Tragiker Aischylos und Sophokles zu den Kulturentstehungslehren

Sowohl Sophokles als auch Aischylos lebten im 5. Jahrhundert v. Chr. und wurden stark durch die späten naturphilosophischen und durch die sophistischen Lehren ihrer Zeit beein­flusst. Erkennbar ist dies an ihrer poetischen Darstellung von Kulturleistungen in ihren Dramen Der gefesselte Prometheus und Antigone.

Ebenso wie bei Anaxagoras, Archelaos und im Protagoras-Mythos wird im Gefesselten Prometheus von einer Berechtigung des Fortschrittes durch dessen Notwendigkeit ausge­gangen, da der Mensch jeweils als Wesen angesehen wird, das ohne die Entwicklung seiner Fähigkeiten nicht überlebensfähig ist. Weitere Parallelen zu den drei Philosophen zeigen sich bei beiden Tragikern in der Betrachtung dieser Fähigkeiten: Diese sind allesamt technischer Art (technai) und basieren wie bei Anaxagoras und im Protagoras-Mythos auf der Weisheit (sophia) als Grundlage.24 Durch diese unterscheide sich der Mensch als vernunftbegabtes Wesen auch vom Tier, dessen Unterwerfung – so sagt es Prometheus in der Tragödie – auch eine Leistung menschlichen Fortschrittes darstellt.

Auch ist die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten bei allen Autoren als evolutio­närer Vorgang zu verstehen: So betont der Protagoras-Mythos die stufenweise Entwicklung des Menschen, die Naturphilosophen gehen von einem kosmologischen Prozess aus und Aischylos legt durch die Anordnung der Aufzählung von grundlegenden Fähigkeiten zu aus­gefeilteren Künsten ebenso eine Fortentwicklung der menschlichen Fähigkeiten nahe.

Dass die menschliche Lebensweise in der Urzeit als den Tieren ähnlich charakterisiert wird, entspricht schließlich nicht nur dem Bild der meisten oben behandelten Autoren (z.B. Kritias), sondern durch diese negative Darstellung der Urzeit wird auch die Nomos-Physis-Antithese unterstützt.25

Der Dichter des Dramas Der gefesselte Prometheus lässt jedoch allgemeine Leistungen des Menschen außer Acht, die für die sophistischen Lehrmeister, deren Theorien er sonst zu bestätigen scheint, zentrale Durchbrüche in der menschlichen Entwicklung kennzeichnen. Diese Errungenschaften bezieht dagegen Sophokles in der Antigone in sein erstes Stasimon ein: So nennt er neben der Schifffahrt, die sowohl er als auch Aischylos als bedeutende Leistung des kulturellen Fortschritts anführen, auch die Sprache, das Denken selbst und die Bildung von Städten.

So wie beim Anonymos Iamblichi, bei Prodikos und in Zügen auch im Protagoras-Mythos gehen all diese Errungenschaften aus dem Menschen selbst hervor. Und auch der dem Menschen zugeschriebene Erfindergeist als Quelle von Kunst und Kultur ähnelt den natur­philosophischen Lehren von Anaxagoras und Archelaos.26

Da eben dieser Erfindergeist dem Menschen aber auch die Möglichkeit verschafft, falsch zu handeln, nennt Prometheus als Leitfaden guten Handelns neben den nomoi, also den Gesetzen der Gesellschaft, welche durch die Sophisten als unabdingbar für das Überleben des Menschen gewertet wurden, auch das göttliche, von der Natur gegebene Recht. Dies kommt der Auffassung Hesiods nahe, welcher das Recht des Zeus in seinen Werken und Tagen als Grundlage menschlichen Überlebens etabliert. Der Eingriff in die natürliche Ordnung, bei­spielsweise durch Schifffahrt oder Ackerbau, ist somit durch kulturellen Fortschritt nicht zu rechtfertigen. Wie Hesiod sieht Sophokles also zumindest in einigen Leistungen des Fort­schrittes einen Verstoß gegen göttliches Recht.

Während die Sophisten durch die Beschreibung einer für den Menschen katastrophalen Ausgangssituation versuchen, den Fortschritt und die Eroberung der Natur als rettende Notwendigkeit darzustellen, ist diese Not in Sophokles´ Werk nicht präsent. Im Gegensatz zu Hesiod heißt Fortschritt bei diesem aber auch nicht eine unumstoßbare Verschlechterung der Dinge, stellt er doch so viele Errungenschaften des Menschen anerkennend heraus.

Als neuer Gedanke in der Bewertung des Fortschrittes kommt bei Sophokles also eine Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber der Umwelt hinzu, welche sich auf den Verstoß gegen göttliches Recht durch einen Eingriff in die natürliche Ordnung sowie auf die fehlende Notwendigkeit dafür gründet.

Aischylos hingegen schließt sich den sophistischen und naturphilosophischen Theorien trotz der bei ihm fehlenden sozialen Ausprägung in seiner Wertung der menschlichen Ent­wicklung an und befürwortet die Nutzung der Natur für die Zwecke des Menschen, indem er sich auf die dort vorgebrachte Notwendigkeit des Fortschritts für das menschliche Überleben bezieht.

 

Die Bewertung der Schifffahrt in der römischen Elegie

Literarische Verortung

Properz 3,7

In den vier von ihm geschriebenen Elegienbüchern behandelt Properz die Liebe seines elegischen Ichs zu Cynthia, der es bereit ist, sein ganzes Leben im Sinne des foedus aeternum zu widmen; doch Cynthia weist das elegische Ich oftmals voller Gefühlskälte zurück, betrügt es sogar und sorgt so immer mehr für eine Entfremdung zwischen den Liebenden. Im dritten Elegienbuch werden der Cynthia deshalb bereits weniger Auftritte zugestanden als in den ersten beiden Büchern. So kommt Cynthia im vorliegenden siebten Gedicht des Buches nicht vor, sondern das elegische Ich beklagt – der Bezug zur Schifffahrt wird sogleich deutlich – den Tod eines jungen Mannes namens Paetus, welcher auf See verunglückte.27

In seiner bewegenden Totenklage weint Properz über das junge Alter des Verstorbenen, trauert über den Verlust, den die Mutter des Paetus durch den Tod ihres Sohnes erlitt, und stellt die letzten Momente im Leben des jungen Mannes dar. Besonders aber prangert der Dichter die Gefährlichkeit der Schifffahrt und die Habgier, der sie entspringt, an. Wäre Paetus nur zu Hause geblieben und hätte in althergebrachter Tradition Ackerbau betrieben, so hätte ihn dieses Schicksal sicher nicht ereilt (V. 43-46). Zumal der Unglücksknabe ja nicht um des Segelns selbst willen, sondern nur zum Erwerb von Vermögen überhaupt das Meer befahren habe (V. 47-50). Dieser Habgier gibt Properz bereits zu Anfang des Gedichtes die Schuld an Paetus’ Unglück (V. 1-4): Durch die Gier nach Gold habe Paetus den Tod gefunden, um ihretwillen sei er frühzeitig gestorben. Die Schifffahrt stellt hier also ein Symbol für menschliche Habgier dar, welche den Menschen erst zu fragwürdigem Handeln treibt.

Auch die Gefahr des Besegelns der Meere stellt Properz mehrmals heraus; zum einen durch Beispiele mythischer Herkunft, zum anderen, in Verbindung mit ungnädigen Personi­fikationen des Meeres, durch die Schilderung von Paetus´ Leiden. So richtet er in V. 13ff. an den Nordwind und den Meeresgott Neptun die Fragen, welchen Nutzen sie von dem Tod des Jünglings hätten, und auch die Unnachgiebigkeit der Wellen, die Paetus ertränkt hätten, führt er auf deren Gottlosigkeit zurück (V. 18).

Besonders viele dieser Personifikationen, die das ungemein grausame Leiden des jungen Menschen veranschaulichen, findet man in Vers 51-53. Properz stellt durch die Personifi­kation der Naturgewalten deren Erbarmungs- und Mitleidlosigkeit heraus und betont damit, wie sehr der Mensch diesen auf offener See ausgeliefert ist. Als mythisches Beispiel wie­derum nennt er unter anderem die Leiden und die Hilflosigkeit des Odysseus auf See (V. 41f.). Ein Nachteil des tatsächlichen Sterbens auf See, den Properz ebenso mehrmals anführt, ist der Verlust der menschlichen Überreste, welche seiner Aussage nach, besonders drastisch, als Fischfutter enden (V. 8).

Doch auch den Gedanken von der Schifffahrt als Erfindung des Menschen und damit verbunden von dessen Schuld an Unglücken auf der See lässt der Elegiker nicht unbeachtet (V. 29-32): Für ihn sind Schiffe von Menschenhand ins Werk gesetzte Todesfallen; die Erde habe den Menschen zum Untergang nicht genügt, sondern er habe durch das Bauen von Schiffen die Unglücksrisiken vervielfacht; letztlich habe der Mensch den Tod auf See verdient, weil seine Heimaterde, verkörpert durch die Penaten, ihm nicht genügt habe. Die menschlichen Künste, aus welchen auch die Schifffahrt hervorgegangen ist, entstammen bei Properz also der Habgier und sinnen somit Schlechtes. Zu der Gier nach materiellem Besitz kommt an dieser Stelle auch die Gier nach Beherrschung verschiedener Lebensräume. Mit der Auffassung des Sophokles vergleichbar klingt bei der Nennung der Penaten ein Verstoß gegen Göttliches durch Verlassen des Landes an, wofür auch das der Schifffahrt antithetisch gegenübergestellte (Über-)Leben auf dem Lande mit der Feldarbeit als Lebensgrundlage spricht (V. 43-46).

Properz zeigt sich in seiner Elegie also als Gegner der Schifffahrt, welche von ihm als Kunstfertigkeit (3,7, V. 32: „arte“) bezeichnet wird und somit Teil menschlichen Fortschritts­strebens ist, da sie ihm durch materielle Habgier sowie den Wunsch, nicht nur die Erde zu beherrschen, motiviert zu sein scheint. Hierdurch und durch den so auch erfolgenden Verstoß gegen den Willen der Natur erklärt er sich das große, lebensbedrohliche Risiko, welches die Schifffahrt mit sich bringt.

Tibull 1,3

In dem dritten Gedicht seines ersten Elegienbuches beschreibt Tibull, dass er krank auf Kerkyra weile, wohin er seinem Förderer Messalla, auch über das Meer, zum Zwecke eines Feldzuges gefolgt ist, und dass er dort seine Geliebte Delia vermisse. Von der Krankheit niedergestreckt muss der Dichter in fremder Umgebung zurückbleiben und stellt Gedanken über den Tod, aber auch über seine Rückkehr zu Delia an.

Eingebettet ist die Wertung der Schifffahrt hier in die Darstellung eines Zeitalters, in dem der Mensch sorglos und ohne jeden Streit lebte (V. 47f.). Tiere zu zähmen hatte er ebenso wenig nötig, da ihm alles von selbst zufloss (V. 45f.). Über die Schifffahrt hat Tibull in den vorherigen Versen, 35-40, das Folgende berichtet:28 Zur Zeit, als Saturn über die Erde geherrscht habe, hätten die Menschen gut gelebt, denn die Schifffahrt sei ihnen noch unbekannt gewesen; noch nicht hätten Schiffer in unerforschten Ländern Gewinn gesucht. Damit stellt Tibull die schlechten Seiten der Schifffahrt stets unter dem Aspekt des „noch nicht“ (V. 37ff.: „nondum“) dar.29 Anders als zur Lebenszeit des Dichters seien die Meere frei von der Häme der Seefahrt gewesen (V. 37) und, da es hierzu keine Möglichkeit gab, habe sich auch niemand den Naturgewalten ohne Weiteres überlassen (V. 38). Den Grund seiner Zeitgenossen, die See zu befahren, führt auch Tibull, gleich Properz, auf die Gier des Menschen nach Besitz zurück (V. 39f.). In dem von dem Elegiker beschriebenen vorherigen Zeitalter hätten die Menschen jedoch keine Gier verspürt, da sie ein sorgenfreies Leben geführt hätten (V. 45f.). Die Schifffahrt zur Mehrung des eigenen Besitzes war zu dieser Zeit, die für Tibull ein idyllisches Ideal darstellt, also nicht vonnöten. Auch die Unrechtmäßigkeit, die Gewässer zu befahren, und die Gefährlichkeit der Seefahrt führt der Dichter hier an, indem er davon spricht, dass die Wellen verhöhnt (V. 37) und die Segel den Winden anvertraut würden (V. 38). Schließlich seien die Menschen, welche unter Saturn lebten, viel friedfertiger und nicht zu Kriegen aufgelegt gewesen (V. 47f.). Da Tibull sich zur Zeit, als dieses Gedicht entstand, selbst auf einem Feldzug befand, bei dem er auch mit Schiffen reisen musste, betrachtet er Schiffe des Weiteren als Werkzeug der Kriegsführung, mit der er als Elegiker wenig anfangen kann, zumal ihn dieser Feldzug ja auch von seiner angebeteten Delia trennt.

Tibull positioniert sich also in der Beschreibung dieses goldenen Zeitalters – der Bezug zu Hesiod ist offensichtlich –, das von Juppiter, unter dem die Menschen in beständiger Angst leben (V. 49f.), beerbt wird, gegen die Schifffahrt, da sie seiner Meinung nach Ausdruck der Habgier und der Kriegsbereitschaft der Menschen und zudem noch gefährlich und nicht naturgemäß ist.

Ovid, Amores 2,11,1-6

Im elften Gedicht des zweiten Buches seiner Amores stellt Ovids elegisches Ich in einem Propemptikon an Corinna, welche auf eine Kreuzfahrt gehen möchte, die Gefahren der Schifffahrt dar, um seine Geliebte vom Verreisen abzuhalten. Hierbei hält sich Ovid nicht nur an das Muster des Geleitgedichtes, sondern nennt als mythischen Bezug, wie vor ihm bereits Horaz in seinem Propemptikon für Vergil,30 die Argonauten, die dem Mythos nach als die ersten Seefahrer gelten. Am wichtigsten, um Ovids in diesem Gedicht geäußerte Ansichten zur Schifffahrt zu bestimmen, sind die Verse 1-6, in denen der Dichter die Argonauten als Erbauer des ersten Schiffes verflucht:31 Ein Schiff habe die Menschheit böse Wege gelehrt; tollkühn sei es zwischen den zusammenstoßenden Felsen hindurchgefahren und habe das goldene Vlies geholt; die Argo hätte untergehen sollen, damit fortan niemand mehr das Meer mit dem Schiff befahre. Dadurch, dass Ovid den Bau des ersten Schiffes als Beispiel anführt, wird deutlich, dass seine Meinung auf alle Schiffe, die gesamte Schifffahrt übertragbar ist. Der Wunsch, die Argonauten und so auch die Schifffahrt wären gescheitert, ist leicht nachzuvollziehen, denn dann hätte das elegische Ich seine Geliebte nicht auf eine Seereise verabschieden müssen.32 Bei Ovid fungieren Schiffe ebenso wie bei Tibull also als ein die Menschen trennendes Element. Doch weitere Gedanken zur Seefahrt kommen in den ersten sechs Versen seines Geleitgedichtes zum Tragen: Die Schlechtigkeit und Unrechtmäßigkeit der Schifffahrt werden auch hier angedeutet und zwar durch ihre Beschreibung als „böser Weg“ (V.2) und durch die Tollkühnheit, mit der bereits das erste Schiff die Gewässer befuhr (V. 3). Und auch hier wird durch die Erwähnung der „todbringenden Wasser“ (V. 5) bereits die Gefährlichkeit der Seefahrt betont, die, so wünscht es sich Ovid rückwirkend, schon früh hätte erkannt werden sollen, damit weitere Schifffahrten hätten verhindert werden können.

Im Übrigen weist dieser Anfang des Propemptikons große Übereinstimmungen mit dem in den Prolog eingebundenen Monolog der Amme in Euripides´ Drama Medea auf (V. 1-8).33 Wie das elegische Ich bei Ovid sieht Medeas Amme den Grund für das Leiden in der Erfindung der Schifffahrt. Freilich spricht sie im Gegensatz zu ihm nicht von ihrem eigenen Leid, sondern von dem der Medea, die einst von Iason mit dem Schiff aus ihrer Heimat Kolchis nach Korinth gebracht worden war, nun aber dort von ihm mit der korinthischen Königstochter Glauke betrogen worden ist und davon erfahren hat.34 Das Fällen der Fichte steht bei Euripides freilich nicht nur für das persönliche Leid der Medea, sondern auch für die Unterwerfung der Natur durch den Menschen,35 die Durchquerung der Symplegaden ist für ihn Zeichen des unaufhaltsamen Expansionsdrangs der Menschen und der Unumkehrbarkeit des Fortschritts.36 Euripides lehnt die mit der Schifffahrt verbundene Entwicklung als ganze ab, weil er sich nach der „Umkehr der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit“37 sehnt. Dadurch dass Ovid in den Amores bewusst auf den die Schifffahrt und den Fortschritt verurteilenden Monolog der Amme in Euripides´ Drama verweist, wird klar, dass auch er mehr an der Schifffahrt auszusetzen hat als ihre Gefährlichkeit, nämlich in ihr wie so viele der antiken Autoren einen Ausdruck des menschlichen Expansionsdrangs und einen Verstoß gegen das natürliche Recht sieht.

Im weiteren Verlauf des Geleitgedichtes führt Ovid als zusätzliches Argument gegen Corinnas Reise die Monotonie der See (V.11f.) an und schlägt ihr vor, sie möge sich lieber Geschichten über Stürme und Abenteuer auf See erzählen lassen, als diese selbst zu erleben (V. 17ff.). Es sei sowieso bequemer, sich auf dem Festland seinen Interessen zu widmen (V. 31f.). Schließlich aber wünscht er der Geliebten doch viel Glück für die Reise (V. 33f.) und wendet sich dann der Vorstellung eines Festes zu, das anlässlich ihrer Heimkehr gefeiert werden soll. (V. 39-56).

In seinem Propemptikon an Corinna stellt Ovid, so lässt sich zusammenfassend sagen, besonders die Gefährlichkeit der Schifffahrt heraus, um die Geliebte mit seinem Gedicht vom Antreten der Reise abzuhalten, er lässt darin durch die Bezugnahme auf Euripides´ Medea auch weitaus kritischere Auffassungen von der Schifffahrt anklingen und deutet selbst, indem er die Schifffahrt als böse und zumindest in Ansätzen als widernatürlich charakterisiert, an, dass er diese als Übergriff des Menschen auf die Natur sieht, der zusätzlich auch noch Liebende voneinander trennt.

Die Bezugnahme der römischen Elegiker auf Weltaltermythos und Kulturentstehungtheorien

In den behandelten Texten, welche die Schifffahrt zum Thema haben, bezieht sich jeder der drei Elegiker Properz, Tibull und Ovid in der einen oder anderen Form sowohl auf den von Hesiod vorgestellten Weltaltermythos als auch auf die Kulturentstehungstheorien der ionischen Naturphilosophen bzw. der Sophisten. In vielen Punkten stimmen sie überein, in einigen unterscheiden sie sich. Im Folgenden sollen diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede genauer betrachtet werden.

Geeint werden die drei Autoren durch eine deszendente Sicht auf die menschliche Entwicklung, die sich in den besprochenen Texten zumeist in der Form einer ablehnenden Haltung gegenüber der Schifffahrt manifestiert. Diese deszendente Auffassung des mensch­lichen Fortschritts ist zwar prägend für Hesiods Dichtungen, stellt jedoch das Gegenteil der von den Sophisten behaupteten Notwendigkeit des menschlichen Fortschrittes dar, der das Überleben sichere und immer auch eine Verbesserung der Lebensumstände bedeute.

Während Ovid jedoch keine Situation beschreibt, die den Menschen zum Fortschritt zwingt, und Properz lediglich angibt, dass der junge Paetus lieber hätte friedlich in alther­gebrachter Tradition auf dem Land leben sollen, legt Tibull in seinem Gedicht eine voll­ständig sorglose Welt als Ausgangssituation zugrunde, eine Utopie, in der der Mensch nicht einmal auf Arbeit angewiesen ist. Die Vorstellung, dass der menschliche Fortschritt obli­gatorisch für das Sein des Menschen ist, negieren die Elegiker also. Auch sind die Menschen, welche unter Saturn leben, bei Tibull bereits friedfertig, während der Mensch die Staatskunst, also das geordnete und geregelte Zusammenleben, bei den Sophisten erst erlernen muss. Dass der Schiffbau und die Seefahrt jedoch Erfindungen des Menschen sind, wie Properz und Ovid feststellen, entspricht der sophistischen Lehre in höchstem Maße (vgl. Prodikos und An­ony­mos Iamblichi). Properz führt den Bau von Schiffen sogar auf die menschliche Kunst­fertigkeit zurück, was die Naturphilosophen Anaxagoras und Archelaos sowie den Sophisten Protagoras sicherlich gefreut hätte, da die technische Kunstfertigkeit bei ihnen ebenso wie bei Properz Ursprung menschlicher Entwicklung ist. Properz gründet jedoch seine Auffassung, dass die Entwicklung der Seefahrt ein Unglück für die Menschen bedeute, auf deren Kunst­fertigkeit, da der menschliche Erfindergeist auf Habgier basiere. Auch Ovid und Tibull nen­nen Habgier als treibenden Grund für Schifffahrt und somit für kulturelle Entwicklung. Bei den drei Autoren wird aber nicht nur die Gier nach materiellem Besitz, sondern auch der Wunsch des Menschen, die Natur zu erobern, angeführt. Aufgrund dessen sei die Schifffahrt ein Verstoß gegen das natürliche Recht. Während Properz sich hier anscheinend nur auf das Meer bezieht, da er das Pflügen, auch mit Stieren, als genügsames Ideal darstellt, wertet Tibull auch die Unterwerfung der Tiere durch den Menschen als gewaltsamen Eingriff in die Natur.

Tibulls Darstellung einer idyllischen Lebensweise unter Saturn, die in einen Kontrast zu den Sitten seiner Zeit (insbesondere der Seefahrt) gesetzt wird, basiert stark auf Hesiods Weltaltermythos. Und auch Properz´ positive Beschreibung bäuerlichen Lebens entspricht den Ansichten Hesiods. Wie Hesiod sieht also auch Properz den Grund für das Unglück im Fortschritt und bewertet die Nutzung des Fortschritts als einen Bruch des göttlichen Gesetzes. Zwar ist in dem behandelten Gedicht aus den Amores kein deutlicher Bezug auf Hesiods Weltaltermythologie ersichtlich – sieht man davon ab, dass Ovid ebenso wie die anderen Elegiker und Hesiod die Schifffahrt und die Verletzung der Natur im Allgemeinen als Unrecht ansieht –, doch erzählt der römische Dichter den Weltaltermythos am Anfang seiner Metamorphosen so umfangreich nach, dass kein Zweifel an seiner kritischen Haltung zur menschlichen Kulturentwicklung besteht und er damit als Befürworter der Deszendenztheo­rien gelten darf.

In ihren Elegien bedienen sich diese römischen Dichter zwar grundlegender Motive der naturphilosophischen und sophistischen Kulturentstehungslehren und teilen auch das eher aufgeklärte Weltbild der griechischen Philosophen, sie stehen in ihrer Ablehnung des kul­turellen Fortschritts und der Schifffahrt aber Hesiod, auf dessen Weltaltermythos sich jeder der drei römischen Elegiker in einem seiner Werke bezieht, programmatisch näher. Auch die von ihnen konstatierte Verletzung der Natur durch den Menschen widerspricht dem sophis­tischen und naturphilosophischen Weltbild.

Ein Vergleich der Bewertungen der Schifffahrt bei den Autoren Aischylos, Sophokles, Properz, Tibull, Ovid

In ihrer Wertung der Schifffahrt verfolgen Aischylos, Sophokles und die römischen Ele­giker sehr verschiedene Ansätze. Bei allen jedoch wird der Schifffahrt eine große Rolle in der Geschichte der menschlichen Entwicklung zugesprochen. Inwiefern diese Rolle von den Autoren abgelehnt oder befürwortet wird und warum sich die Autoren so entscheiden, soll nun geklärt werden.

Von allen bewertet Aischylos die Schifffahrt in seinem Drama Der gefesselte Prometheus am besten. Bei ihm ist sie Ausdruck höchster Zivilisation, welche den Menschen erst zum Überleben befähigte und ihm half, das tiergleiche Dasein, das am Anfang seiner Existenz stand, zu überwinden. Auch in Sophokles´ Antigone wird die Schifffahrt als hohes Gut und immense menschliche Leistung gepriesen. Gleichzeitig stellt Sophokles jedoch die Ambiva­lenz des menschlichen Fortschrittes, welche er in der Freiheit des Menschen begründet sieht, seinen Erfindergeist zu Gutem wie zu Schlechtem zu gebrauchen, durch das Beispiel der Seefahrt heraus und hält sie neben dem Einsatz des Pfluges für eine Verletzung des natür­lichen Rechts. Viel missbilligender fällt die Bewertung der Schifffahrt bei den Elegikern aus. Als erste benennen sie die Gefährlichkeit der Schifffahrt und sehen diese durch Habgier und Expansionsdrang der Menschen veranlasst. Ebenso wie Sophokles lehnen sie die Schifffahrt auch wegen der Schändung der Natur ab. Besonders Tibull bekennt sich zu Auffassungen, die denen des Griechen stark ähneln.

Erklären lassen sich die unterschiedlichen Auffassungen von der Schifffahrt nicht nur durch die Berufung auf verschiedene Kulturtheorien, sondern auch durch die Gesellschaft, in der die Autoren jeweils lebten. Aischylos und Sophokles bezogen sich als Kinder ihrer Zeit vor allem auf die Kulturentstehungstheorien der Sophisten, die ein aufklärerisches Ziel verfolgten. Hierdurch kamen die anerkennende Darstellung der Schifffahrt im Gefesselten Prometheus und auch die Würdigung der Schifffahrt in der Antigone zustande. Sophokles lässt in seinem Werk jedoch auch traditionelles Denken zum Zuge kommen und lehnt sich, indem er die Forderung stellt, der Mensch müsse sich an das göttliche Gesetz halten, an Hesiods Prometheus-Figur und dessen Weltaltermythos an. Gleichzeitig ist bei Sophokles zu berücksichtigen, dass sich die aufklärerischen und kulturbejahenden Tendenzen seiner Zeit nicht unbedingt mit der Meinung der breiten Masse gedeckt haben müssen und der Dichter mit seiner auch kritischen Bewertung des Fortschritts diese Stimmung widerzuspiegeln be­müht ist.

Anders sieht es bei den Elegikern aus: Sie schrieben im augusteischen Rom. Da sie mit den konservativen Konventionen der Gesellschaft, den traditionellen Werten, die Augustus wieder einführen wollte, und teilweise sogar mit dem Kaiser selbst haderten, versuchten sie ihre Frustration durch eine überhöhte und provokante Parodie auf die spießige Gesellschaft ihrer Zeit zu verarbeiten. Der Rückgriff auf deszendente Kulturtheorien, wie etwa auf Hesiods Weltaltermythos, könnte bei ihnen beispielsweise erfolgt sein, um die Schifffahrt, welche auch militärisch genutzt wurde und daher sicherlich einen hohen Stellenwert in der römischen Gesellschaft genoss, den Elegikern mit ihrer Absage an viele traditionelle römische Werte aber fernstand, zu kritisieren.

Wie die beiden Schriftsteller des 5. Jahrhunderts nutzen die römischen Elegiker zwar auch sophistische Theorien, flechten diese jedoch in ihr deszendent bestimmtes Denken ein. Hesiods Weltaltermythos wird hier besonders zentral und rechtfertigt die schlechte Meinung der Elegiker von Schifffahrt und Fortschritt im Allgemeinen. Während es zwischen Aischylos und den Elegikern also fast keine Parallelen gibt, kommen die Römer dem Griechen So­phokles schon näher, da sich dieser wie sie nicht nur auf die aszendenten Theorien seiner Zeit verlässt, sondern auch problematische Seiten des Fortschrittes anführt und sich dabei wie die Elegiker auf Hesiod beruft.

Die Verantwortung des Menschen gegenüber der Umwelt in heutiger Zeit

Auch heute noch herrscht eine starke Ambivalenz in der Sicht der Menschen darauf, wie viel Verantwortung sie eigentlich für die Nutzung der fortschrittlichen Errungenschaften tragen müssen, die sie selbst hervorgebracht haben. Ein Schwerpunkt liegt dabei häufig auf der Frage, wie weit der Mensch in der Anwendung technischer Mittel gehen darf, wenn er dadurch Umwelt und Natur schädigt. Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet.

So widmen sich heutzutage einerseits zahlreiche Menschen der Erhaltung der Natur und kritisieren technische Errungenschaften, die die Umwelt gefährden; insgesamt ist das öffent­liche Interesse an Fragen des Umweltschutzes in den letzten Jahrzehnten größer geworden. Bestes Beispiel hierfür sind etwa die von den meisten Regierungen eingeführten Umwelt­ministerien und die Organisationen, die es sich zum Ziel gemacht haben, die Natur zu bewahren, wie etwa Greenpeace. Sie machen z.B. auf Technik aufmerksam, deren Anwen­dung ein Risiko für die Umwelt darstellt oder diese direkt verletzt, wie etwa das Fracking, das bei der Erdöl- und Erdgasförderung angewandt wird.

Andererseits gibt es viele, für die der Nutzen, den der Mensch durch die Technik für sich gewinnt, Priorität vor dem Schutz der Umwelt besitzt. So verringerte der US-amerikanische Präsident Trump die Fläche zweier Naturschutzgebiete in Utah auf weniger als die Hälfte, weil er diese Gebiete, welche reich an Kohle und Fossilien sind, der amerikanischen Bevöl­kerung wieder zur Verfügung stellen wollte.388 Naturschützer befürchten jedoch eine Zer­störung des Gebietes durch den Bergbau. Und auch die von der Autoindustrie unterstützten Versuche an Affen,39 bei denen die Schädlichkeit von Abgasen getestet wurde, wurden als Forschungen im Zeichen des Fortschritts und zum Wohle des Menschen definiert, während sie von Tierschützern scharf kritisiert wurden.

Wenn mittlerweile auch die westlichen Industriestaaten, die ja den technischen Fortschritt als unerlässlich für die Sicherung ihres Wohlstandes erachten, die Forderung erheben, die Natur müsse geschützt werden, so ist das fast immer eine Reaktion auf ein die Natur gefähr­dendes Ereignis. So hatte die Klimakonferenz, die im November vergangenen Jahres in Bonn stattfand, zum Ziel, Regeln zum Abkommen von Paris, welches die durch den Menschen stark beeinflusste Erderwärmung begrenzen möchte, aufzustellen.40 Auslöser hierfür sind ne­ben der globalen Erwärmung an sich besonders die dadurch hervorgerufenen Umweltkata­strophen, wie etwa Hurrikans und Fluten. Das Bewusstsein des Menschen für seine Verant­wortlichkeit gegenüber der Umwelt und somit auch die Kritik an einer Verletzung der Um­welt steigen offensichtlich mit dem Grad, in dem der Mensch die Umwelt schädigt und sich damit auch selbst gefährdet.

Schaut man sich vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse nun die antiken Dichter an, so versteht man, dass Sophokles in einer Epoche, in der im Sinne einer aszendenten Fortschritts­theorie Vieles möglich geworden ist und der Mensch es sogar geschafft hat, sich das Meer untertan zu machen, auch gefährliche Seiten des Fortschritts benennt und damit der Weltsicht zahlreicher skeptischer Zeitgenossen, die sich stärker an den alten Götterglauben und die durch ihn begründete Schutzwürdigkeit der Natur gebunden fühlen, eine Stimme verleiht. Andererseits wird dadurch auch die Position des Aischylos deutlicher, der sich in seiner Bewertung der kulturellen Entwicklung voller Stolz ausschließlich auf deren Nutzen für den Menschen bezieht und Nachteile für die Natur ausblendet. Auch die vollständige Ablehnung der Schifffahrt, die die römischen Elegiker an den Tag legen, ist als Reaktion auf ihre Zeit zu verstehen: als ernst gemeinte oder provokante Rückbesinnung auf die Deszendenztheorie, mit der sie das Erfolgs- und Gewinnstreben ihrer Tage in ein kritisches Licht rücken.

Eine Prognose zu treffen, welche Haltung sich als die sinnvollere erweisen wird, der gläubige Fortschrittsoptimismus oder der skeptische Fortschrittspessimismus, erscheint mir schwierig, da die Meinungen derer, die den Fortschritt zum Wohle des Menschen befürwor­ten, und derer, die die fortschrittliche Entwicklung aufgrund ihres Gefahrenpotentials ableh­nen, einander wie schon vor 2500 Jahren wohl auch in Zukunft gegenüberstehen werden. Für am sinnvollsten halte ich es persönlich, sich dem von Sophokles beschriebenen Weg anzu­schließen, indem man Fortschritt in Form von menschlicher Entwicklung eine immense und essentielle Leistung zugesteht, diesen jedoch nur befürwortet, solange er die Natur nicht zerstört und das Recht der Menschen auf Unversehrtheit achtet.

Literaturverzeichnis

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Internetquellen

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http://www.zeit.de/wissen/2018-01/abgasversuche-affen-tierversuche-abgasskandal-dieselskandal/komplettansicht

 https://www.tagesschau.de/ausland/klimakonferenz-bonn-109.html

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